Mein Tag ist deine Nacht
ich. Angenommen, die Theorie stimmte und dies war kein Traum? Ihre Kinder würden sie besuchen kommen und sich wundern, wieso sie nicht aufwachte. Andererseits hegte ich nicht den Wunsch, schneller wieder in ihrer Haut zu stecken als nötig. Abgesehen von den Kindern war natürlich auch noch Grant zu bedenken. Er schien ein netter, liebevoller Ehemann zu sein, aber ich war nun einmal nicht seine Frau, und dass es zu Komplikationen kommen würde, war absehbar. Wenn ich den Augenblick, in dem ich wieder in ihrem Körper steckte, um ein, zwei Stunden hinauszögern konnte, dann käme mir das sehr gelegen, vor allem, wenn sie heute nach Hause durfte. Ich war alles andere als erpicht darauf, dieses Minenfeld zu betreten.
Wie auch immer, dachte ich mir, während ich mir die Wimpern tuschte und schließlich noch Lipgloss auf die Lippen tupfte, all das waren einfach nur wilde Vermutungen. Wahrscheinlich würde ich heute ins Bett fallen und etwas völlig anderes träumen. Und selbst wenn ich irgendwie recht hatte, war ich ihnen doch nichts schuldig. Wenn ihre Mutter tot war, dann war das zwar sehr traurig, aber was konnte ich dafür? Ich hatte schließlich nie um all das gebeten.
Im Pub war es laut und rappelvoll, als ich es betrat, und ich fragte mich gerade, wie ich Dan finden sollte, als er auch schon an meiner Seite erschien.
»Sollen wir zur anderen Bar durchgehen?«, rief er mir über den Lärm hinweg zu, und ich nickte und folgte ihm in die wesentlich ruhigere Lounge, wo wir uns an einen kleinen runden Tisch setzten.
»Was möchtest du trinken?«, fragte er.
»Ein stilles Mineralwasser, bitte!«
Er zog eine Augenbraue hoch, versuchte aber nicht, mich umzustimmen, wie es häufig geschah, wenn ich mit Freunden ausging. Vor ein paar Monaten hatte ich meinen Alkoholkonsum ziemlich eingeschränkt, allerdings nicht aus irgendwelchen tiefsinnigen Gründen, sondern weil ich mich ganz gern im Griff hatte. In meinem gegenwärtigen Zustand, entschied ich, dass es vernünftiger sein könnte, dem Alkohol zumindest zeitweilig ganz abzuschwören.
Dan kehrte mit meinem Wasser und einem Bier für sich zurück, und dann saßen wir, den kleinen Tisch zwischen uns, da, sahen uns scheu an und nippten unsicher an unseren Getränken.
»Sauber und trocken siehst du sehr hübsch aus«, meinte er schließlich, setzte sich zurück und leckte sich den Schaumbart von der Oberlippe.
»Das Kompliment kann ich zurückgeben.« Ich lächelte.
Einen Augenblick saßen wir schweigend da und betrachteten einander über unsere Gläser hinweg.
»Ich würde dich wirklich gern näher kennenlernen«, platzte es schließlich aus ihm heraus, als wäre er nicht imstande gewesen, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten.
Ich musste ihn nach dieser unerwarteten Bemerkung wohl etwas besorgt angeschaut haben, denn er grinste breit und ergriff meine Hand.
»Ich meine, ich erzähle dir etwas über mein Leben und du mir über deines.«
»Gut, fang du an.« Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass seine Berührung meine Hand in Flammen zu setzen schien.
»Okay. Nun, zunächst einmal, ich bin unverheiratet«, erklärte er und beantwortete damit die Frage, die mich am brennendsten interessierte. »Vor rund einem Jahr war ich verlobt, aber sie hat sich mit einem meiner Freunde aus dem Staub gemacht.« Er trank einen Schluck Lagerbier und sah mir in die Augen. »Nun bist du dran.«
»Ich habe eine Weile mit einem Typen zusammengelebt, aber es hat nicht funktioniert. Vor zwei Jahren bin ich ausgezogen und hab mir eine eigene Wohnung gekauft. Augenblicklich lebe ich allein, von Frankie mal abgesehen, natürlich.«
»Mein alter Herr wohnt bei mir«, sagte er. »Er ist ein echter Spitzbube, trägt das Herz aber auf dem rechten Fleck. Du würdest ihn mögen.«
»Bestimmt.« Plötzlich gähnte ich und hielt mir dann die Hand verlegen vor den Mund. »Verzeihung! Es war ein langer Tag, insbesondere nach allem, was passiert ist …«
»Komm.« Er leerte sein Glas, kam um den Tisch herum und zog mich auf die Füße. »Ich hätte dich heute Abend gar nicht darum bitten sollen, mit mir auszugehen, noch dazu, wo du dich heute schon zur Arbeit geschleppt hast. Eigentlich hättest du mit Fug und Recht den ganzen Tag im Bett bleiben können.«
Liebend gern hätte ich ihm erzählt, dass das Bett der letzte Ort war, an dem ich mich aufhalten wollte. Der Ort, an dem ich in eine bizarre Alternativwelt geworfen wurde. Doch würde eine derartige Enthüllung beim
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