Mein Tag ist deine Nacht
anders, und irgendwie hatten wir den schwierigen Übergang von Geliebten zu Freunden geschafft, und ich hatte weiter für ihn gearbeitet, weil ich meinen Job mochte, auch wenn ich zugeben musste, dass ich Stephen nie wirklich geliebt hatte.
Nach einem Blick auf die Wanduhr wurde mir klar, was für ein Glück ich hatte, dass der Arbeitstag bei Chisleworth & Partners erst spät begann. Stephen erschien grundsätzlich nicht vor zehn, und solange ich kurz vor ihm in der Kanzlei war, schien es ihm egal zu sein, wann ich auftauchte.
An diesem Morgen drückte er mir, als er an meinem Schreibtisch vorbeikam, zärtlich die Schulter, was ein Fehler war, da die Brandwunden dort immer noch recht empfindlich waren. Ich zuckte vor Schmerzen zusammen, und er zeigte umgehend Reue und fragte, was in aller Welt denn los sei? Ich erzählte ihm von dem Blitzschlag, und er zeigte sich einigermaßen entsetzt.
Nicht so entsetzt jedoch, dachte ich im Stillen, als er mich besorgt fragte, ob ich mich fit genug für die Arbeit fühlte – wie er es gewesen wäre, hätte er gewusst, dass ich meine Schlafenszeit seit Samstag im Körper einer anderen Frau verbracht hatte. In der vertrauten Umgebung der schäbigen Kanzlei, wo der Kaffee in einer Ecke vor sich hin gluckste und der Computer mich anblinkte, wirkte der Alptraum nun unwirklich, sogar lächerlich.
Ich versicherte ihm, mir gehe es gut, und er verschwand mit der unverhüllten Erleichterung eines Mannes, der befürchtet hatte, ich könnte ihn andernfalls darum bitten, etwas deswegen zu unternehmen, in seinem Büro.
Außer mir waren noch zwei weitere Frauen in der Kanzlei beschäftigt, Clara, die Sekretärin von Rory Chisleworth, und Delores, die das Telefon bediente, Kaffee für Mandanten kochte und den restlichen Tag vor jedem, der zuhörte, über ihren Freund herzog. Sobald die Bürotür hinter Stephen in seinem schicken, aber ziemlich überholten blauen Nadelstreifenanzug ins Schloss fiel, erhob ich mich, schnappte mir die Zeitung von Claras Schreibtisch und blickte umgehend aufs Datum. Montag, der zwanzigste Oktober. Und hier war der Artikel über die königliche Familie. Das konnte ich doch unmöglich geträumt haben?
»Greif zu«, meinte Clara lächelnd mit einem Anflug von Sarkasmus und reichte mir eine Tasse Kaffee, ehe ich auch nur die Zeit hatte, mir all dessen, was das Datum bedeutete, bewusst zu werden.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und nippte nachdenklich an dem heißen Getränk. Wieder Montag, und mit denselben Nachrichten. Den Montag hatte ich bereits als Lauren durchlebt. Welche Art von Traum war derart stetig? Die Angstgefühle, die mich schon zuvor gequält hatten, kehrten zurück, und ich bekam weiche Knie. Ganz gewiss hatte ich noch nie von jemandem gehört, der einen Traum da wieder aufnahm, wo er ihn in der vorherigen Nacht verlassen hatte, und ihn wie ein Alternativleben durchlebte.
Es gab noch eine weitere Möglichkeit, und mir wurde mulmig. Sie war noch furchterregender als die Traumtheorie. Womöglich ließe sich dadurch erklären, warum ich Jessica war, wenn ich hier war, und im Schlaf zu Lauren wurde. Ich wusste, ich konnte mich gegen den entsetzlichen Verdacht, der sich in mir verdichtete, nicht ewig verschließen. Früher oder später würde ich mich dem Unfassbaren stellen müssen … konnte es sein, dass meine Lebenskraft – meine Seele – durch den zeitgleichen Blitzschlag irgendwie gespalten worden war, so dass sie nun abwechselnd zwei Körper bewohnte?
Angesichts dieser absonderlichen Idee zog ich scharf die Luft ein, was wiederum zu einem Hustenanfall führte, da der Kaffee nunmehr den falschen Weg nahm. Clara kam und hielt mir ein Taschentuch hin, das ich dankbar ergriff. Ich tupfte mir die Augen ab und schneuzte mich dann kräftig. Das schien mich zu beruhigen.
»Bist du wirklich schon wieder fit für die Arbeit?«, fragte sie und hockte sich auf die Kante meines Schreibtisches. »Du siehst sehr blass aus.«
»Mir geht’s gut, ehrlich«, schwindelte ich.
Sie hatte mit angehört, wie ich Stephen von dem Blitzschlag erzählt hatte, und wollte jetzt einen ausführlichen Bericht. Ich schilderte ihr, wie ich Dan kennengelernt hatte und dass er mich am nächsten Tag mit dem Auto herumchauffiert hatte. Sie grinste mich an und sah aus, als wolle sie mich weiter befragen, als Delores vom Empfang auftauchte.
»Mr.Chisleworths Mandant für halb elf ist da«, verkündete sie. Clara kehrte an ihren Schreibtisch zurück, nachdem sie mir
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