Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
wollen?« Solche Dinge mussten wir uns regelmäßig anhören. Meine Mama kam mit dieser Abneigung gar nicht klar. Auch wir Kinder hatten zu Beginn in Deutschland unsere Probleme und weinten viel in dieser Zeit.
Mein Großvater väterlicherseits lebte den größten Teil in Mönchengladbach und arbeitete als Lkw-Fahrer. Wie bereits erwähnt, holte uns Opa Ramush nach unserer Flucht aus dem Kosovo in Kassel ab, nahm uns mit in den Ruhrpott und beherbergte uns eine Woche lang. Meine Eltern und wir drei Kinder waren erschöpft von der mühsamen Reise quer durch Europa. Wir brauchten die ersten Tage zum Ankommen, zum Akklimatisieren. Danach meldeten wir uns bei den Behörden. Sie schickten uns am 25. Mai 1993 nach Düsseldorf in ein Übergangsflüchtlingslager, dort in der Rheinmetropole befand sich auch die Zentrale Ausländerbehörde für Flüchtlinge. Wir
bekamen Papiere, mit denen wir uns ausweisen konnten. In unserer Akte war das Wort »Flüchtling« vermerkt.
Eigentlich wollten wir zeitnah wieder zurück in unsere alte Heimat und nur übergangsweise in Deutschland bleiben. Wir hofften, dass im Kosovo bald wieder Ruhe einkehren würde. Ein halbes Jahr wollten wir zunächst abwarten. Daraus wurden sieben, acht Monate, in denen wir Hoffnung hatten, doch dann war klar, dass das nicht mehr funktionieren würde. Die Lage im Kosovo war unerträglich und spitzte sich immer weiter zu. Wir konnten definitiv nicht zurückkehren, wir waren somit staatenlos.
Schon Ende Mai, also direkt nach unserer Flucht, mussten wir einen Antrag auf Asyl stellen, sonst hätten wir nicht bleiben dürfen. Es gab für uns in Deutschland von Beginn an keinen anderen Ausweg. Während des laufenden Verfahrens mussten sich meine Eltern in Düsseldorf Interviews unterziehen, viele Fragen beantworten: Warum wir hier leben möchten? Was uns zur Flucht getrieben hat? Ob wir verfolgt wurden? Aufgrund der Sprachprobleme half ein Übersetzer auf dem Amt. Alles wurde genauestens in unseren Akten festgehalten.
Wenige Tage nach unserer Ankunft schickten sie uns weiter nach Willich-Münchheide, wir mussten in eine andere Bleibe umziehen. Im neuen Übergangswohnheim schliefen außer uns fünf noch zwei andere Männer mit im Zimmer. Das war für mich kleines Mädchen beängstigend. Wildfremde Menschen neben meinem Bett! Wir wussten vorher nicht, dass in unserem Raum noch andere Personen wohnen sollten. Um ein Uhr Nachts klopfte es an unserer Tür, einer der zwei Männer stand vor uns und machte mit Händen und Füßen deutlich, dass das auch sein Zimmer sei. Wir verstanden die Sprache des Mannes nicht, konnten das kaum glauben. Aber sein Zettel, auf dem unsere Zimmernummer draufgekritzelt war, gab ihm recht. Der andere tauchte einen Tag später auf. Ich weiß noch, dass die Männer aus unterschiedlichen Ländern kamen. Woher genau, habe ich vergessen. Sie teilten sich gemeinsam ein Doppelbett, obwohl auch sie sich nicht kannten.
Wir dachten, wir müssten zwei, drei Monate in Willich-Münchheide bleiben. Das war die übliche Verweildauer, es gab Erfahrungswerte von anderen Flüchtlingen. Dabei war das Heim wirklich nicht besonders einladend. Ein ziemlich heruntergekommener Bau, die Zimmer abgewohnt. Gemütlichkeit sieht anders aus. Ab und zu flüchteten wir zu Opa nach Mönchengladbach, dort konnten wir ein wenig Privatsphäre genießen. Mein Großvater holte uns dafür immer mit seinem Auto ab, wir hatten ja keinen Pfennig Geld und damit keine Möglichkeit, ein Busticket oder Ähnliches zu kaufen. Doch auch diesmal hatten wir Glück, durften nach zwei Wochen wieder raus aus unserer Übergangsbleibe und zogen weiter nach Remscheid.
Dort erhielten wir die erste finanzielle Hilfe. Vorher lebten wir von den kostenlosen Mahlzeiten im Heim. Für das Essen warteten wir in der Kantine stets eine geschlagene Stunde in der Reihe, bis wir endlich dran waren. Der Ansturm war riesig, die Flüchtlingsheime konnten wegen Überfüllung kaum noch Menschen aufnehmen.
Die neue Unterkunft in Remscheid gab uns die Ausländerbehörde vor. Sie wurde von der Arbeiterwohlfahrt betrieben. Unser Zimmer lag in der Nähe des Pförtners, der immer mal ein Auge auf uns und unsere Eingangstür warf. Somit standen wir unter besonderem Schutz. Das war ein Segen, denn so richtig sicher fühlten wir uns in diesem Flüchtlingsheim nicht. Es war voll mit Menschen aller möglichen N ationalitäten. In dem Hochhaus herrschte ein sehr raues Klima und eine kriminelle Stimmung, es wurde sogar
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