Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
unterhalten.
Papa versuchte sehr schnell, eine Arbeit zu finden. Er bekam tatsächlich einen Job als Bauarbeiter in Mönchengladbach und wir zogen 1994 dort hin. Das war der Anfang vom großen Glück! Papas erste Anstellung war sozusagen der Grundstein, auf dem wir uns eine neue Existenz aufbauen konnten.
Heute fühl ich mich in Deutschland wohl, ich lebe gerne hier. Ich habe mittlerweile die meiste Zeit meines Lebens in diesem Land verbracht, das ist nun meine Heimat. Hier wohnt meine Familie, hier sind meine Freunde. Ich könnte mir gar nicht mehr vorstellen, im Kosovo zu leben. Dort ist das Leben rückständiger, vor allem für uns Frauen sehr hart – und es ist schwer, Arbeit zu finden. Nachdem sich die politische Lage beruhigt hat, besuchen wir heute ab und zu wieder unsere Verwandtschaft. Unser Bauernhof wurde im Kosovo-Krieg 1999 vollständig zerstört, da war so gut wie nichts mehr übrig. Zur Erklärung: Vom März bis zum Juni 1999 kämpfte eine von den USAangeführte NATO-Koalition gegen Rest-Jugoslawien um die Provinz Kosovo. Es war eine Reaktion der europäischen und nordamerikanischen Staaten auf die Menschenrechtsverletzungen der jugoslawischen Sicherheitskräfte gegen die albanische Untergrundorganisation UÇK im Kosovo, die ihrerseits für die Rechte der Kosovo-Albaner und gegen die serbischen Unterdrücker kämpfte. Jugoslawien bestritt solche Verletzungen, beklagte seinerseits die terroristischen Mittel, mit denen die UÇK agieren würde. Als Ergebnis des Krieges richtete die UN – die Vereinten Nationen, ein internationaler Völkerbund, dessen Aufgabe es ist, den Frieden und die internationale Sicherheit zu wahren – eine Verwaltung im Kosovo ein. Gleichzeitig bestätigte sie aber auch die Zugehörigkeit des Gebietes zur Bundesrepublik Jugoslawien. Verhandlungen
darüber, ob der Kosovo endlich einen unabhängigen Staat gründen darf, gab es erst ab 2005.
Mein Papa hatte sich nach unserer Flucht und während dieses Krieges, der vier Jahre nach dem Ende des Jugoslawien-Konfliktes ausbrach, noch mal in den Kosovo aufgemacht, um unsere Verwandtschaft mit Kleidung, Gebrauchsgegenständen und Lebensmitteln zu versorgen. Im Lkw fuhr er mit meinem Opa in unser Heimatdorf. Einige Häuser waren bereits abgebrannt, andere standen noch in Flammen. Unser Hof, die Schule und andere Gebäude waren zum Teil aus feinem Holz gebaut, das brannte lichterloh. Die Decken waren eingefallen, Möbel lagen verkohlt herum. Es war so traurig.
Kaum zu glauben: Das war mal unsere Küche – eine Schüssel erinnert noch daran
Wenn Papa davon erzählt, dann bekommt er feuchte Augen. Heute steht unser Haus zum Glück wieder. Es war meiner Familie wichtig, dieses Gebäude wieder aufzubauen. Papas jüngerer Bruder Schemsi lebt heute mit seiner Familie drin. Er wurde als Einziger der Familie zurückgeschickt, hat keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, obwohl er in Deutschland geboren wurde. Das kam so: Der Papa von meinem Vater,
also mein Opa, lebte ja bereits seit 1968 in Deutschland. Es gab damals ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und Jugoslawien. Durch diese Regelung durfte mein Opa als Lkw-Fahrer eine Anstellung in Deutschland annehmen. Er kam dann ein paarmal im Jahr zurück in den Kosovo, versorgte die Familie mit Geld, Lebensmitteln und wichtigen Gegenständen, die es bei uns nicht gab oder für die wir kein Geld hatten: Spielsachen und Klamotten. Meine Oma blieb in der alten Heimat, schließlich hatte sie acht Kinder zu versorgen. Ein Magengeschwür zwang sie allerdings dazu, für zwei Jahre zu meinem Opa nach Deutschland zu ziehen. Dort wurde sie erfolgreich operiert. Während dieser Zeit kam mein Onkel Schemsi auf die Welt. Damals waren die Gesetze so, dass Kinder ausländischer Eltern nach Vollendung des 16. Lebensjahr die BRD wieder verlassen mussten. Das betraf auch Onkel Schemsi. Zu Zeiten des Kosovo-Krieges 1999 kam er wieder zurück nach Deutschland. Endgültig ausgewiesen wurde er, nachdem wieder Frieden in unserer alten Heimat herrschte.
Von meiner Mama wohnen noch der Vater, die Mutter, die Stiefmutter und ein Teil der Geschwister im Kosovo. In Deutschland befinden sich von ihr ein leiblicher Bruder und eine leibliche Schwester. Meine Mama hatte keine gute Kindheit, verlor früh zwei Brüder. Mamas Familie lebte früher einmal für zwei Jahre in Berlin. Mutti war damals sechs Jahre alt. Eines Tages spielte sie damals zusammen mit ihrem dreijährigen Bruder Agron und ihrer
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