Mein ungezähmtes Herz
zu geben, einen Ausweg zu finden, dann nickte er mit zusammengebissenen Zähnen.
»In Ordnung. In einer Stunde fahren wir.«
»Endlich!« Mehr als zwei Stunden später schloss Del den Schlag der Kutsche, die Miss Duncannon glücklicherweise gemietet hatte, und ließ sich neben seiner unerwarteten Reisebegleiterin nieder.
Deliahs Zofe Bess, eine Engländerin, hatte in der Ecke gegenüber Platz genommen. Neben ihr, in einem bunten Durcheinander aus Saris und Wollschals, saßen Amaya, Alia und eine weitere ältere Inderin mit zwei jungen Mädchen, die zu Miss Duncannons Haushalt gehörten.
Warum die Lady so viele Inder beschäftigte, musste er noch in Erfahrung bringen.
Mit einem Ruck setzte die Kutsche sich in Bewegung und rumpelte über die High Street. Als sie durch das nördliche Stadttor fuhren und auf die Straße nach London einbogen, fragte Del sich, nicht zum ersten Mal in den letzten zwei Stunden, was um Himmels willen er sich dabei gedacht hatte, diese Frau mitzunehmen.
Leider kannte er die Antwort: Ihm war nichts anderes übrig geblieben. Sie hatte den Mann gesehen, der auf ihn geschossen hatte – das hieß, dass er sie mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls gesehen hatte.
Da die Anhänger der Schwarzen Kobra nur äußerst selten Feuerwaffen benutzten, handelte es sich bei dem Attentäter höchstwahrscheinlich entweder um Larkins, Ferrars Diener und rechte Hand, oder um Ferrar selbst. Del tippte auf Larkins.
Obwohl Cobby alle Zeugen befragt hatte, die auf der Straße gestanden und bestürzt über den Anschlag diskutiert hatten, hatte niemand den Mann mit der Pistole gut genug gesehen, um ihn beschreiben oder gar erkennen zu können. Das Einzige, was er erfahren hatte, war, dass der Mann, wie erwartet, hellhäutig gewesen war.
Der schnelle und entschlossene Angriff der Schwarzen Kobra überraschte Del, doch wenn er es recht überlegte, hätte er es an Ferrars Stelle wohl mit einem ähnlichen Präventivschlag versucht. Wäre der Anschlag erfolgreich gewesen, hätte es Ferrar im darauffolgenden Chaos durchaus schaffen können, sein Zimmer und seine Koffer nach der Briefrolle zu durchsuchen. Auch wenn das sinnlos war, aber das konnte Ferrar ja nicht wissen. Jedenfalls war Del ganz sicher, dass er ohne Miss Duncannons Geistesgegenwart – und ihr rasches Handeln – höchstwahrscheinlich tot gewesen wäre.
Es ging auf sieben Uhr zu. Die Nacht war finster, der Mond in dicke Wolken gehüllt. Als die vier Pferde die befestigte Straße erreichten und weiter ausholen konnten, durchschnitten die leuchtenden Kutschenlampen die kalte Dunkelheit.
Del dachte an die anderen Mitglieder der beiden Haushalte, die mit dem größten Teil des Gepäcks auf zwei offenen Wagen fuhren, weil es Cobby nicht gelungen war, auf die Schnelle etwas anderes aufzutreiben.
Wenigstens waren sie nun unterwegs, in Bewegung.
Und sie wussten, dass Larkins, vermutlich mit Ferrar, ganz in der Nähe war und sie jagte. Der Feind hatte seine Deckung verlassen und einen Angriff gewagt.
»Ich kann nicht verstehen, warum Sie darauf bestanden haben, den Vorfall nicht den Behörden zu melden«, sagte Miss Duncannon. Sie sprach so leise, dass sie beim Klappern der Hufe kaum zu verstehen war; offenbar sollte außer dem Mann neben ihr keiner ihr Meckern hören.
»Bowden hat mir erzählt, dass Sie für die Fensterscheibe aufgekommen sind, aber partout nicht wollten, dass die Angelegenheit an die große Glocke gehängt wird.« Die Dame zögerte einen Augenblick, dann fragte sie ganz direkt:
»Warum?«
Doch sie wandte sich nicht zu Del um. Im Innern der Kutsche herrschte ein reges Schattenspiel; die Sicht war so schlecht, dass sie an seinem Gesicht sowieso nichts hätte ablesen können – außerdem war ihr bereits aufgefallen, dass er sie nur das sehen ließ, was sie sehen sollte.
Die Stille dehnte sich, doch sie wartete einfach ab.
Schließlich murmelte Del:
»Der Anschlag hatte mit meinem Auftrag zu tun. Können Sie den Mann mit der Pistole beschreiben? Das wäre sehr hilfreich.«
Das Bild, das sie durchs Fenster gesehen hatte, hatte sich ihr unauslöschlich eingeprägt.
»Er war etwas größer als der Durchschnitt und trug einen dunklen Mantel – nicht allzu modisch, aber von guter Qualität. Auf dem Kopf hatte er einen dunklen Hut, trotzdem konnte ich sehen, dass sein Haar sehr kurz geschnitten war. Aber sonst … ich hatte wirklich nicht die Zeit, mir jedes Detail
zu merken.« Deliah ließ einen Augenblick verstreichen, ehe sie eine
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