Mein ungezähmtes Herz

Menschen unterwegs. Einige Kindermädchen und Gouvernanten sammelten gerade die ihnen anvertrauten Kinder ein, um sie nach Hause zu bringen.
    Damit sie warm und behaglich vor dem Kamin saßen, wenn der ungemütliche Eisregen einsetzte.
    Deliah war dankbar für ihren dicken Umhang. Der Schauder, den sie zu unterdrücken versuchte, war jedenfalls nicht auf die Kälte zurückzuführen. Sie wurden verfolgt, das spürte sie, und diesmal steckte eine konkrete Absicht dahinter – bildete sie sich jedenfalls ein. Sie schielte zu Del hinüber.
    »Sie haben Verstärkung bekommen, nicht wahr?«
    Er nickte ernst und ausdruckslos.
    »Jetzt sind es mindestens drei, wenn nicht mehr.«
    Sie schlenderten ein paar Schritte weiter.
    »Das ist ein gutes Zeichen, oder?«
    Del war sich nicht ganz sicher, ob er ihre Ansicht teilte.
    »Wir haben es ja darauf angelegt.« Natürlich wollten sie einen Angriff provozieren, nur glaubte er nicht, dass sie von Sektenanhängern verfolgt wurden, auch wenn immerhin die vage Möglichkeit bestand. Schlimmer aber war, dass er Deliah an seiner Seite hatte – und das widersprach all seinen Grundsätzen.
    Mit jedem Schritt, der sie tiefer in den Park führte, fühlte er sich zerrissener; ein Teil von ihm drängte ihn, Deliah beim
Arm zu nehmen und sie sofort ins sichere Hotel zurückzubringen, während der andere Teil hoffte, dass sich endlich eine Gelegenheit bot – eine, die er laut Auftrag unbedingt nutzen musste –, die Truppen des Feindes zu dezimieren. Das war seine Aufgabe als Köder.
    Außerdem würde Deliah sich dem Versuch, sie von der von ihr vorgeschlagenen Aktion fernzuhalten, sicher heftig widersetzen.
    Sie gingen noch langsamer, anscheinend völlig unbeschwert, denn das war wichtig, wenn man überfallen werden wollte. Trotzdem kam die Grenze des Parks unaufhaltsam näher und ihre Verfolger hatten immer noch nicht zugeschlagen.
    »Was sollen wir tun?«, fragte Deliah.
    »Umdrehen und wieder zurückbummeln?«
    Im Geiste überblickte Del die Anlagen, durch die sie gegangen waren, und schnitt eine Grimasse.
    »Hier ist es zu offen – sie fürchten, dass andere Leute sie sehen und uns zur Hilfe kommen. Entlang der Straße gibt es immer noch viele Fußgänger – jeder könnte in den Park schauen und den Überfall mitbekommen.«
    »Wenn das so ist«, sagte Deliah und deutete mit dem aufgerollten Schirm nach vorn, »lass uns in den St. James’s Park gehen. Dort gibt es mehr Büsche und noch weniger Menschen.«
    Schon gar nicht solche, die ihnen zur Hilfe eilen würden. Angesichts der zunehmenden Dämmerung und des immer schlechter werdenden Wetters waren diejenigen, die sich noch im St. James’s Park aufhielten, wohl eher Diebe und Räuber als aufrechte Bürger.

    Del biss die Zähne zusammen. Es behagte ihm nicht, aber … mit einem steifen Nicken führte er Deliah weiter.
    Am Ende des Green Parks angelangt überquerten sie die Mall, die beinahe menschenleer war, und betraten betont lässig den St. James’s Park.
    Als die Büsche sich um sie schlossen, waren Dels Instinkte in höchster Alarmbereitschaft.
    Auch Deliah wirkte wachsam und angespannt, sie schien ebenfalls alle Antennen ausgefahren zu haben.
    »Tony und Gervase sind ganz in der Nähe«, beruhigte er sie leise.
    Sie nickte bestätigend, sagte jedoch nichts.
    Als der Angriff erfolgte, war er gefährlicher als erwartet. Del und Deliah spazierten gerade nach außen hin sorglos über einen grasbewachsenen Pfad, auf dem drei Personen nebeneinander Platz gehabt hätten, als zehn Schritte vor ihnen drei Schlägertypen aus den Büschen traten und sich ihnen in den Weg stellten.
    Ein Geräusch hinter ihnen verriet Del, dass auch dort jemand Stellung bezog; sofort schob er Deliah hinter sich und drehte sich so, dass sie beide mit dem Rücken zu einem dicken Baum standen.
    Zwei Männer blockierten den Pfad, den sie gerade gekommen waren, und schnitten ihnen den Fluchtweg ab. In diesem Abschnitt standen die Bäume und Büsche entlang des Weges so dicht, dass sie kaum zu durchdringen waren.
    Ihre Gegner hatten einen guten Platz gewählt für ihren Hinterhalt, doch leider handelte es sich ausschließlich um Engländer. Del fluchte innerlich und löste den Verschluss, der den Degen in seinem Stock festhielt. Drei Männer näherten
sich drohend, zwei von vorn und einer von hinten, sodass an jedem Ende der kurzen Strecke ein Mann übrig blieb, der Schmiere stehen konnten. Mit einer schwungvollen Geste und einem metallischen Sirren zog Del blank.