Mein Wahlkampf (German Edition)
wichtige Arbeit für unsere junge Demokratie. Und da Sie nun schon alle wichtigen Informationen zur bevorstehenden OB-Wahl von mir erhalten haben, müssen Sie ja wohl nicht mehr zu den Presseterminen dieser Versager von den anderen Parteien gehen.»
Am nächsten Tag ergab eine erste, oberflächliche Presseschau, dass die Pressekonferenz als Erfolg zu werten war. Alle berichteten.
Die Frankfurter Rundschau :
«Schmitt will Frankfurt zur ersten weihnachtsmarktfreien Stadt Deutschlands machen und den Museumschef zum Kulturdezernenten, falls dieser die Doppelbelastung als Kulturdezernent und Kettenraucher aushält. Das wären ja schon wieder Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnte.»
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung :
«Im Caricatura Museum hat der Kandidat gestern stoisch ernst sein in neuneinhalb Thesen gefasstes Programm vorgestellt. Zehn Thesen, so dozierte Schmitt, überstiegen das Fassungsvermögen der Frankfurter Wähler. […] Der Kandidat mit dem rostroten Anzug hat zwei oder gar drei Amtszeiten im Römer-Chefbüro ins Auge gefasst, würde sich aber mit einer Wahlperiode begnügen, sofern er dann schon eine Rente bekommt. Groß sind die Pläne von Frankfurts selbsternanntem ‹OB der Herzen›. So wird er das Bankenviertel unter die Erde verlegen lassen und damit Platz für Wohnungen schaffen. Besserverdiener-Ghettos wie den Lerchesberg oder das Holzhausenviertel will er auflösen und verlegen lassen. […] Und sogar für den Streit um das Euro-Kunstwerk vor der Europäischen Zentralbank hat er eine Lösung parat. Das Signet bleibt dort stehen, bekommt aber ein Minuszeichen davorgesetzt. Solche Weitsicht prädestiniert Schmitt zu noch Höherem. Das nächste Mal kandidiert er wahrscheinlich als Bundespräsident.»
Und in der Welt las ich am nächsten Tag:
«Achtzig Prozent plus x strebt der ehemalige Chefredakteur der Titanic an. Und prophezeit: ‹Es wird schmutzig und brutal.› Denn seine Stärke sei die Schwäche der anderen Kandidaten. Die bezeichnet er nur als ‹lächerlich›.»
Hatte ich das alles wirklich gesagt? Immer wieder las ich von Dingen, die ich angeblich gesagt haben sollte, an die ich mich aber nicht im geringsten erinnern konnte. Wenn ich vor Kameras und Mikrophonen sprach, war ich anscheinend ein anderer. Aber wer?
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Der Neujahrsempfang
Wie man mit schönen Frauen schmutzige Machenschaften feiert
Um mich einer breiten Wählerschicht bekannt zu machen, gab ich einen Neujahrsempfang. Einen Empfang, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hatte. Das jahresanfängliche Schütteln möglichst vieler Bedeutungsträgerhände ist die einfachste Methode, sich ins politische Geschäft zu bringen. Deswegen richten sämtliche Parteien, Organisationen, Verbände und Dampfschifffahrtsgesellschaften Neujahrsempfänge aus, die unangenehmerweise die Eigenschaft haben, sich terminlich in der vorderen Jahreshälfte zu ballen, andernfalls hießen sie ja Altjahrsempfänge.
Um meinen Kontrahenten klug zuvorzukommen, gab ich meinen Neujahrsempfang so früh wie möglich, nämlich schon am 1. Januar um 00.05 Uhr – so hatten die geladenen Gäste einerseits noch genügend Zeit, sich von der zurückliegenden Silvesterfeier ein wenig zu erholen, und waren andererseits noch immer festlich gekleidet. Nicht alle Politiker setzten ihren Neujahrsempfang so früh an – Bundespräsident Christian Wulff beispielsweise hatte seinen viel später, fast zwei Wochen nach mir. So spät, dass diese erste Amtshandlung des Jahres im Rahmen seiner rasant verrinnenden restlichen Amtszeit auch fast schon seine letzte war.
Damit auch wirklich alle wichtigen Leute von meinem Neujahresempfang erfuhren, lud ich öffentlich auf Facebook zur Feier in die Kampa-Gaststätte Klabunt. Facebook-Partys sind bekanntlich die schönsten Partys, zu denen auch immer wieder die nettesten Überraschungsgäste eintrudeln. Und obwohl in der Folge noch einige andere Neujahrsempfänge stattfanden, sind sich bis heute alle einig, dass mein Empfang mit Abstand der beste und überraschendste war. Oder jedenfalls der mit dem überraschendsten Ende.
Empfänge und Partys sind die Nachrichtenbörsen der politischen Klasse. Manchmal sind sie sogar lehrreich und man kann sich intimes Herrschaftswissen sichern. Sofern man an die richtigen Leute gerät – und nicht wieder an die Abstauber, Mitnehmer und Gratisschlucker, denen man schon zuvor bei anderen Veranstaltungen in die Arme gelaufen ist.
Ich lernte beispielsweise auf dem
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