Mein Wahlkampf (German Edition)
gut. Falls ihr Antworten habt, behaltet sie für euch. Und bestellt, was ihr wollt! Jeder, so viel er will! Denn heute, am Beginn dieses historischen Wahljahrs, geht alles auf eure eigenen Kosten. Prost!»
Viele klatschten, manche gingen spontan und kamen nicht wieder. Die musste ich gar nicht mehr überzeugen, die hatte ich also schon im Sack. Ich schüttelte die Hände des mächtigen Landesvorsitzenden. Er versprach mir, dass der rote Wahlkampf-SL «voraussichtlich nächste Woche» bereitgestellt werde. Dafür zwackte ich ihm nach Politikerart in die Wangen, was der Inspizient, der am gleichen Tisch saß, sehr missbilligend zur Kenntnis nahm. Als ich danach mit ihm plauderte, schaute ihn der Landeschef wütend, ja eifersüchtig an. Merkwürdig, warum sich die beiden da kabbelten. Die Kampagne lief doch sehr gut!
Auch in der Presse war ich bestens vertreten. Die Tageszeitungen hatten, offenbar in Vorfreude auf die sich abzeichnenden erdrutschartigen Veränderungen in der Politlandschaft, bereits mein amtliches Endergebnis vorauskalkuliert. Erwartungsgemäß wichen die Hochrechnungen leicht voneinander ab: Während mir die Frankfurter Neue Presse unter der Überschrift «Am Ende bleibt nur einer übrig» eine hauchdünne, aber sichere Mehrheit von 50,01 Prozent gönnte, sah mich Die Welt in ihrem Bericht mit der tendenziösen Headline «Sekt oder Selters?» bei gar nicht so unrealistischen neunundneunzig Prozent. Dennoch mussten beide Zeitungen mit einer Unterlassungsklage meinerseits rechnen: Per Facebook forderte ich die Redaktionen der Blätter ultimativ auf, bei künftigen Veröffentlichungen solcher Jahresausblicke auf Apostrophierungen wie «satirisch» oder «nicht ganz ernst gemeint» zu verzichten.
Als Überraschungsgast erschien ein hoch angesehener Verleger aus Berlin. Er war eigens nach Frankfurt gereist, um seinen spektakulärsten Neuerwerb vorzuführen, eine atemberaubend grazile und langbeinige Blondine, die er in der Gunst eines gebenedeiten Augenblicks sogar hatte heiraten können. «Darf ich vorstellen: Das ist meine Neue», sagte er mit unverbrämtem Besitzerstolz, während die anderen Festgäste geflasht den Atem anhielten. Um sich eine solche Frau überhaupt leisten zu können, war der Verleger natürlich auf die ständige Produktion von Bestsellern angewiesen. Einen neuerlichen hatte er schon in Planung: meine politische Biographie. Ich sollte als «weißer Obama» in Deutschland die Macht ergreifen und anschließend den Millionen Verlorenen und Verzweifelten da draußen mit meinem Buch wieder Mut und Hoffnung geben.
Kein Problem, das würde ich gerne für ihn tun, erwiderte ich, aber dazu müsse ich auch einen amerikanischen Wahlkampf führen. «Und zum amerikanischen Wahlkampf gehört zwingend eine sehr gut aussehende Frau an meiner Seite», sagte ich und zwinkerte der attraktiven Verlegergattin vielsagend zu. Sie würdigte mich keines Blicks. Ohne Gattin ginge es nicht, erklärte ich dem Verleger und lud ihn zu einem Freigetränk auf eigene Kosten ein. Das bewahrheitete sich auch wenige Monate später in den USA: Michelle Obama hatte nach ihrer aufsehenerregenden Rede auf dem letzten Parteitag der Demokraten vor der Wahl weitaus höhere Popularitätswerte als ihr Mann. Und auch Obamas Herausforderer, der Mormonenmillionär Mitt Romney, hat auf die mitreißende Kraft angeheirateter Weiblichkeit vertraut. Bei der Nominierungsveranstaltung der Republikaner sprach seine Frau: «Ich habe meinen Mann gefragt: ‹Mitt, kannst du Amerika retten?› Und seine Antwort war: ‹Ja.›»
Meine eigene Gattin stand für einen amerikanischen Wahlkampf leider nicht zur Verfügung. Das hatte sie mir bereits zu Beginn des Wahlkampfs erklärt, und zwar kategorisch. Für meine «schmutzigen Machenschaften» seien ihr guter Ruf und ihre wertvolle Zeit zu schade, sagte sie.
Noch einmal drängte ich den Verleger, mir wenigstens für die Zeit bis zur Wahl seine wunderschöne Gattin sozusagen als Medienpartnerin zu überlassen – so würde ich noch sicherer gewinnen, und er, der Verleger, hätte hinterher gleich zwei Bestseller unter Dach und Fach: nämlich nicht nur meine politische Aufsteigergeschichte, sondern auch die intime Beichte meiner Ex-Kampagnengattin und seiner Endlich-wieder-Trophäenfrau, Arbeitstitel: «Ich war nur vom Escort-Service». Am besten mit einem Vorwort von Bettina Wulff, riet ich und versprach jede Menge großformatiger Anzeigen in allen wichtigen deutschen Zeitungen und Magazinen,
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