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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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Vollpfosten. Ich konnte den bereits hochgekrempelten Ärmel aber auch nicht wieder runterkrempeln. Das wäre das Eingeständnis des Scheiterns gewesen, noch bevor ich überhaupt etwas gesagt hatte. Dieser Idiot von Politkommissar! Wieso hatte ich mir das einreden lassen? Warum zum Teufel klemmte dieser verfickte Manschettenknopf? Warum hörten die hämisch grinsenden Fotografen nicht endlich auf, ihre Scheißbilder zu schießen? Mir blieb nur eine Wahl: Ich musste Tatkraft, Entschlossenheit und brutale Gewalt gleichzeitig demonstrieren. Mit einem gewaltigen Ruck zerfetzte ich die rechte Manschette. In hohem Bogen flog der Knopf durch den Saal. Ich hob die rechte Hand, und während ich den Ärmel triumphierend zurückkrempelte, deutete ich in Richtung Tür und brüllte: «Meine sehr verehrten Damen und Herren – bitte erheben Sie sich. Ich begrüße die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, Petra Roth!»
    Die Tür flog auf, die Amtsträgerin erschien mit Zigarette im Mund. «Er kann es!», schrie sie mit merkwürdig tiefer Stimme, stakste im Stechschritt durch den Raum, zeigte auf mich und schrie immer wieder: «Er kann es!»
    Ein Raunen ging durch den Saal, Fernsehkameras leuchteten auf, Blitzlichtgewitter. «Er kann es! Der da kann es, hundert Pro!»
    Weil wir die echte Oberbürgermeisterin auf die Schnelle nicht bekommen hatten, musste nun der kugelrunde Museumsdirektor mit blonder Perücke, im Stützkorsett und auf High Heels durch den Raum balancieren und mir seinen Segen geben. «Er kann es! Ja, er kann es, Herrschaften!»
    Insgesamt ein ziemlich unwürdiges Schauspiel. Ich dankte der Oberbürgermeisterin für ihren Beistand, haute ihr freundschaftlich auf die Schulter, ließ mich gemeinsam mit ihr ablichten, Handshake, dann schob ich sie durch eine Nebentür aus dem Saal. Hoffentlich, dachte ich, hat keiner was gemerkt.

    Noch sitzt Petra Roth unauffällig neben mir. Schöpft irgendwer Verdacht?
    Mitten in die allgemeine Verwirrung hinein gab ich meinen Wahlsieg bekannt. Ich präsentierte das Ergebnis einer Internet-Umfrage des nun wirklich über jeden Parteilichkeitsverdacht erhabenen Hessischen Rundfunks, bei der über vierzehntausend Stimmen gezählt wurden. Ergebnis: Der CDU-Mann hatte 1,03 Prozent, die Grüne 1,98, der SPD-Kandidat 3,41, die anderen zusammen 4,71. Ich hingegen konnte 88,88 Prozent der Wählerstimmen auf mich vereinen. Das sei mehr als eine bequeme Vierfünftelmehrheit, erklärte ich, dankte den Wählern für ihr Vertrauen und nahm die Wahl schon mal vorsorglich an. Und markierte einen gewissen Stolz, die psychologisch so wichtige Achtundachtzig-Prozent-Marke geknackt zu haben.
    «Obwohl die Wahl damit praktisch schon entschieden ist, werde ich noch um weitere Wählerstimmen werben», verkündete ich in etliche Radiomikrophone hinein. «Schon morgen werden wir mit unserer großangelegten Bodenoffensive in allen Stadtteilen beginnen. Wir fokussieren das canvassing dabei auf den klassischen Häuserkampf nach der von Martin Sonneborn entwickelten Methode: Klingeln, ‹Scheiß-CDU› brüllen und wegrennen.» Über den weiteren Fortgang der Ereignisse würde ich dann auf Facebook informieren, außerdem solle in Extremfällen sogar getwittert werden. «Bitte halten Sie alle mal die Augen auf, da kommt möglicherweise bald ein Tweet. Ein Markenzeichen unserer Kampagne wird nämlich sein, dass wir mehrere Kommunikationskanäle auf unkonventionelle Weise miteinander verbinden. Stichwort ‹Kommunikationssynergie›. Ich stütze mich hier auf die positiven Erfahrungen des CSU-Bundestagsabgeordneten Johannes Singhammer, der Journalisten per Briefpost darüber informierte, dass er jetzt auch twittere.»
    Ich verlas Singhammers Brief, den ich im Netz gefunden hatte:
    «Sehr geehrter Herr Redakteur, seit kurzem bin ich auch bei Twitter. Ich möchte Sie einladen, mir zu folgen, wenn Sie immer wieder politische Informationen kurzfristig erfahren wollen. Sie finden mich bei Twitter unter Johannes Singhammer oder direkt unter JohannesSingham.»
    Mit diesem revolutionären Einsatz neuester Tools brachte es Singhammer im ersten halben Twitterjahr aus dem Stand bereits auf gut neun Tweets, von denen der mit dem Inhalt «Test» noch am interessantesten war.
    Während sich die glucksenden und schluckenden und immer wieder nach Schnittchen greifenden Journalisten noch irgendwas notierten, kam ich zum nächsten Punkt – die Offenbach-Krise. Der Politkommissar hatte mir noch schnell einen

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