Mein Wahlkampf (German Edition)
Neujahrsempfang des Journal Frankfurt einen meiner Kontrahenten kennen, einen gewissen Peter Feldmann, den Kandidaten der SPD. Isoliert stand er auf der Party herum, keiner wollte mit ihm reden. Da er als chancenlos galt, hatten die meisten für ihn nichts übrig außer Mitleid und Verachtung. Ich hingegen hatte mir die Internet-Umfrage des Hessischen Rundfunks ausgedruckt und ließ mir nun von ihm per Unterschrift die Echtheit des Ergebnisses quittieren. Peter Feldmann (SPD): 3,41 Prozent. Oliver Maria Schmitt (Die PARTEI): 88,88 Prozent. Er setzte seinen Namen unter das für ihn doch sehr peinliche Wahlergebnis und akzeptierte damit den Willen des Volkes. Zum Abschied ergriff der Sozi meinen Oberarm und schüttelte mir die Hand.
Nur eine von vielen gewonnenen Internet-Abstimmungen. Sobald ich Kanzler bin, wird die Demokratie generell von der Urne ins Netz verlegt, das macht das Durchregieren leichter.
Das sei der sogenannte «Politikergriff», erklärten mir hinterher Experten von der Presse. Habe man es mit Politikern im persönlichen Umgang zu tun, komme man um das Angegrabschtwerden am Oberarm in Kombination mit einem festen Händedruck nicht herum. Dadurch signalisierten Politiker Volksverbundenheit und persönliche Anteilnahme. Noch volksverbundener als der «Politikergriff», wusste ein Chefredakteur, sei nur der «Friedman-Griff», den der gleichnamige Moderator und Ex-Politiker quasi erfunden und institutionalisiert habe. Einmal in diesem Griff gefangen, sei man absolut wehrlos, sagte der Schriftleiter, ergriff meinen Unterarm und legte seine Pranke eisern um mein Handgelenk. Ich fühlte mich tatsächlich wehrlos wie nie zuvor. Auch ein klein wenig erniedrigt. Diesen Griff musste ich mir merken. So weit würde aber normalerweise kein seriöser Politiker gehen, sagte der Chefredakteur. Er selbst traue sich allenfalls, den «Chefredakteursgriff» anzuwenden. Sprach’s, legte seine Hand väterlich auf meine Schulter und schob mich von dannen.
Ein anderer Journalist, der mir gefolgt war, um für sein Blatt hämische Bemerkungen aus meinem Munde über die anderen Kandidaten abzugreifen, berichtete von einem «Hackfressenauflauf», wie er sich ausdrückte, den er gerade am Vorabend habe miterleben dürfen. Ein zweitklassiger Frankfurter Fußballverein hatte im Verbund mit einem drittklassigen koreanischen Autohersteller zum gemeinsamen Neujahrsempfang ins Autohaus geladen, wo zwischen koreanischem Blech und hessischen Hostessen viertklassiges Catering aufgefahren wurde. Nach einer eher kurzen, noch leidlich geordneten Stehempfangszeit sei die Festlichkeit dann aber schnell und beschlagen planlos aus dem Ruder gelaufen. Angeblich musste regelmäßig der Pannendienst ausrücken, um Betrunkene zu verwarnen, die sich zum heimlichen Rauchen in die ausgestellten Neuwagen gesetzt hatten. Zum Glück habe der CDU-Kandidat von alldem nicht mehr viel mitbekommen, denn der sei schon beizeiten hinter dem Steuer eines von ihm okkupierten Cabrios eingeschlafen.
Um den zu erwartenden Alkoholverzehr bei meinem eigenen Neujahrsempfang hatte ich mir schon im Vorfeld Sorgen gemacht. Wer würde am Ende den Deckel bezahlen? Da unsere Partei pleite war, gab es kein Wahlkampfbudget. Viele Gäste hatten bereits ihr Kommen angedroht – wie gerne hätte ich einen zahlungskräftigen Biersponsor im Rücken gehabt. So wie einst der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD), der sich seine Hochzeitsfeier von zwei Brauereien und einer Kaffeerösterei sponsern ließ. Die Getränkerechnung war damit bezahlt, sodass PreussenElektra und die Nord/LB nur noch für die musikalische Umrahmung aufzukommen hatten. Doch ich war wohl in der Hierarchie noch nicht weit genug geklettert – von keiner Seite kam ein Kostenübernahmeangebot. Ich musste mir etwas einfallen lassen.
Endlich stieg die Party. Ich begrüßte jeden einzelnen Gast persönlich, schaute ihm tief in die Augen und schüttelte ihm die Hand. Ich hätte meine Hand sogar freundschaftlich auf die Oberarme gelegt, aber vom «Politikergriff» hatte ich da noch keinen Schimmer. Ich begrüßte geladene und ungeladene Gäste, nüchterne und betrunkene, und auch alle, die nur «auf einen Absacker» hereingeschneit waren. Meine Neujahrsansprache hielt ich betont kurz, zumal sie wegen der unbarmherzig aus den Boxen dröhnenden Kneipenbeschallung nur schwer zu verstehen war.
«Seid herzlich willkommen, liebe Stamm- und Wechselwähler. Falls ihr Fragen habt, merkt sie euch
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