Mein Wahlkampf (German Edition)
Journalisten orderten Getränke nach und hingen an meinen Lippen. Ich diktierte ihnen direkt in den Block. Das gefiel mir. Ich begann zu begreifen, wonach man als Politiker süchtig wird. Ich sagte irgendwas – und alle schrieben es auf. Herrlich. So, dachte ich, sollte das jeden Tag sein.
In bester Plauderstimmung erklärte ich, dass ich immer noch Kontakte zur Industrie suchte. Deren Vertreter sollten sich mal bitte bei mir melden, Stichwort «verdeckte Finanzierung». Voller Neid hätte ich nämlich feststellen müssen, dass Bundespräsident Christian Wulff eine halbe Million Otzen von einer befreundeten Unternehmergattin gepumpt bekam. Als arrivierter Spitzenpolitiker scheine man problemlos an Kohle zu kommen, man frage einfach einen der vielen Millionäre aus dem engeren Freundeskreis. Enttäuscht hätte ich hingegen erkannt, dass sich in meinem engeren Freundeskreis überhaupt keine Millionäre befänden, nicht mal im erweiterten oder gar entfernten. Was, wenn das rauskomme? Werde man mir das als persönliches Versagen anlasten? Und mit dem Finger auf mich zeigen: «Heee, dieser Aufschneider, der kennt nicht mal Millionäre! Dieser Versager, der zahlt ja alles selbst!»
So weit dürfe es nicht kommen, erklärte ich. Um für mich zu werben, plante ich die Veröffentlichung eines teuer aufgemachten Coffee-Table-Buchs über mich selbst, das meine Vorzüge ausführlich beleuchte, möglicherweise sogar mit einem Vorwort von mir oder Roger Willemsen, den hätte ich angefragt, da er sich in der Materie der Selbstvermarktung hervorragend auskenne. Für dieses Buch sollten auch jetzt schon großformatige Anzeigen in allen wichtigen deutschen Zeitungen und Magazinen geschaltet werden, vierfarbig natürlich, mit Eckenbrüller und Rabattcoupon zum Ausschneiden. All das könne schon jetzt konkret geplant und finanziert werden – müsse aber freilich ohne mein Wissen geschehen. Sonst wäre ich nämlich geliefert, so wie der Wulff.
Außerdem kündigte ich eine Schmutzkampagne gegen meine Mitbewerber an und forderte die versammelte Presse auf, mir möglichst diskret möglichst viel kompromittierendes Material zuzuspielen, auch für Denunzianten hätte ich stets ein offenes Ohr. Weil ich auf der Suche nach der radikalen Mitte – denn nur dort würden bekanntlich Wahlen entschieden – eine Politik der radikalen Offenheit pflegen wolle.
Ich bedankte mich bei meinen Zuhörern für ihre Aufmerksamkeit. «Haben Sie noch Fragen? ‹Fragen müssen offen aufs Tapet gebracht werden›, schrieb Mao in der nach ihm benannten Bibel. Also bitte –»
«Wie beurteilen Sie Ihre Mitbewerber?», fragte eine Journalistin.
«Völlig indiskutable Charaktere. Nachtgestalten. Lemuren! Offenbar waren sämtliche Altparteien überfordert und alle Vorräte an geeignetem Humankapital aufgebraucht. Wollte man das aufgebotene Kandidatenmaterial auch nur erbärmlich nennen, wäre das schon ein Lob. Es schadet doch der Würde des Amtes, wenn ich hier nur gegen Spaßkandidaten antreten kann.»
Nun gingen die Journalisten der Reihe nach meine Mitbewerber durch und fragten mich, was ich von denen jeweils so hielte. Zum Beispiel von dem CDU-Mann, der sich als natürlicher Nachfolger der CDU-Amtsinhaberin sehe?
«Ein Komiker, ganz klassische Witzfigur, der geborene Überraschungsverlierer.»
Und der SPD-Kandidat?
«Tragische Gestalt, das letzte Aufgebot der absterbenden Sozialdemokratie, der Bodensatz.»
Beim Notieren kicherten die Journalisten und schrieben begeistert alles auf. Plötzlich wurde mir klar, worin ihr Vergnügen bestand: Natürlich verachteten sie, die sie täglich den unerhörten Flachsinn der Altparteienkandidaten kommentieren mussten, die Lokalpolitiker zutiefst. Schreiben durften sie das aber nicht. Außer wenn es als Zitat kam, zum Beispiel von mir.
Der Piraten-Kandidat?
«Ein freundlicher Einfaltspinsel mit Mondgesicht, eine Art sprechendes Tee-Ei.»
Die Vertreterin der Grünen?
«Als Steigbügelhalter der CDU sind die Frankfurter Grünen die neue FDP. Hier werden Menschen leichtfertig verheizt.»
Da es draußen schon dämmerte, behauptete ich, mich bald anketten zu müssen, und lud die TV-Teams ein, mir zu folgen. Es werde jede Menge Exklusivbilder geben. «Ich möchte abschließend noch sagen», verkündete ich schließlich, «dass ich nicht ganz der Meinung meines Kollegen Joschka Fischer bin, der mal gesagt hat: ‹Journalisten sind nichts anderes als Fünf-Mark-Nutten.› Ich finde, Sie alle machen hier eine sehr
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