Mein Wahlkampf (German Edition)
Weisheit, noch größere Potenz, gute Zähne und eine gute Mahlzeit.
Um meine Generalforderung «Mehr kleine und niedliche Tiere für die Zoos» auf bundesweite Politikfähigkeit und Massentauglichkeit zu überprüfen, veranstaltete ich bereits im Zuge meiner OB-Kandidatur einen regionalen Testlauf: Ich lud zur «Artenkritischen Begehung des Frankfurter Zoos». Dies sei «wahrscheinlich ein Topic von hoher empathisch-emotionaler Bindungskraft», hatte der Politkommissar vorab gemutmaßt, als wir die Pressemeldung herausgaben. Doch mit der Lawine an Zuspruch und Interesse, die uns dann überrollte, hatte keiner gerechnet.
Der Alfred-Brehm-Platz vor dem prächtigen Haus der Zoogesellschaft war schwarz vor Menschen. Hunderte Tierkritik-Interessierte waren an diesem strahlenden Vorfrühlingstag gekommen, dazu ein ganzer Schwung Journalisten, Fotografen und Fernsehteams. Klugerweise hatten wir die Veranstaltung gar nicht erst angemeldet und auch nicht beim Zoo nach Genehmigung gefragt – wir gingen einfach so als Riesengruppe rein. Zwei ARD-Teams, die mitfilmten und hinterher um eine Sendegenehmigung baten, wurden empört von der Zoodirektion zurechtgewiesen: Der Frankfurter Zoo sei eine «politikfreie Zone» und lasse sich nicht für «parteipolitische Interessen» missbrauchen. Sodass am Ende nur die Konkurrenz von RTL, die gar nicht auf die Idee gekommen war, nachzufragen, sendefähiges Material hatte.
Vorsicht! Gerade Katzen neigen zum Wechselwählen und bauen nur schwer Bindungen zu politischen Parteien oder Institutionen auf.
Die Begehung als solche war sowieso unpolitisch. Es ging ja nur darum, welche Tiere durch vorbildliche Niedlich- und Possierlichkeit den Menschen erfreuten, ihn so mit dem Dasein versöhnten und sozusagen milde stimmten. Niedliche Tiere sollten umgehend und unbürokratisch ein dauerhaftes Bleiberecht für den schönen, von Bernhard Grzimek persönlich mit charmanten Fünfziger-Jahre-Pavillons bestückten Frankfurter Zoo erhalten. Die übelriechenden und übelst stinkenden Tiere dagegen, die obendrein auch noch potthässlich waren oder mit einer schlechten Energiebilanz aufwarteten (Nilpferd!), die also dem Menschen eine Last, eine Gefahr, ja eine generelle tierische Unerquicklichkeit darstellten – die hatten im Frankfurter Zoo, gewissermaßen dem Flagship-Store der Tierwelt, einfach nichts verloren. Sie mussten verschwinden.
Anfangs war ich noch dafür gewesen, solcherlei Ungetier an Ort und Stelle diskret einschläfern zu lassen. Der Politkommissar hatte jedoch strikt dagegengehalten: «Wenn das rauskommt, dann können wir so was von einpacken – Sie machen sich keine Begriffe.» Wir einigten uns daher auf eine sozialverträgliche «Ausschaffung», wie man in der Schweiz sagen würde: auf eine Überstellung in den nur zwanzig Kilometer entfernten «Opel-Zoo», einen im Hochtaunus gelegenen Tierpark, der auf eine großzügige Spende des Opel-Gründers Commodore Admiral Manta Zafira von Opel zurückging.
Um jedoch nicht gleich als der selbstherrliche, autokratische Herrscher dazustehen, der ich meinem Wesen nach bin, wollte ich die Entscheidung, welche Tiere gehen mussten und welche nicht, demokratisieren – und gemeinsam mit den Teilnehmern der artenkritischen Begehung per Abstimmung zu einem Urteil kommen. So konnte ich außerdem, sollte es nach der Abschiebung irgendwie Ärger geben, die Verantwortung leichter auf andere abwälzen.
Ich hatte mich durch die Lektüre von Brehms Thierleben in der zweiten Auflage von 1876–1879, die noch Brehms ungefilterte Forschungsergebnisse enthält, kundig gemacht, was das Seelenleben und die Gefühlslage der Tiere angeht. In späteren Auflagen sind diese vorbildlich subjektiven Eindrücke einer «wissenschaftlichen» Bearbeitung zum Opfer gefallen und geschönt oder getilgt worden. Wollte man schon damals verschweigen, dass auch Kamerad Tier über Gefühle, Charakter und eine eigene Psyche verfügt? Für die er oder sie dann im Ernstfall auch geradezustehen hat?
Um die jeweilige Bleibe- oder Ausschaffungsentscheidung auch noch moralisch abzusichern, zog ich zusätzlich das Handbuch eines ausgesuchten Experten zu Rate und las vor der Abstimmung aus dem Standardwerk Welche Tiere und warum das Himmelreich erlangen können des Tierforschers Eckhard Henscheid vor.
Der Zoo war an jenem sonnigen Samstag gut besucht: Viele Löwen waren da, auch ein großes Rudel Paviane, Flamingos standen farbenfroh auf einem Bein – nur das Gehege des
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