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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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an der Basis, war überaus anstrengend gewesen. Das zehrte an der Substanz. Und über das, was ich bei meinen Hausbesuchen als Boris-Rhein-Lookalike erlebte, hülle ich lieber das Schondeckchen des Schweigens. Nur so viel sei gesagt: Fünf mit Eierlikör angeschickerte Omas in einem Schrankwandwohnzimmer, die ihren vermeintlichen Lieblingskandidaten mal so richtig zwischennehmen – das ist wahrlich kein Urlaub auf dem Ponyhof. Und hinterher wurde man bei der Auswertung auch noch vom Politkommissar gemaßregelt: «Sie hätte als Boris Rhein Ihren Mangel an Problemlösungskompetenz besser inszenieren sollen.» Auf diese Weise schaffte er’s ganz bestimmt nicht bis zum Landesvorsitz.
    Ja, ich war ziemlich erschöpft. Mehrfach schon hatte ich meine wöchentliche Politikersprechstunde abgehalten. Treffpunkt war die Frankfurter Gaststätte Weida. Ich sprach, und die Bürger hatten die Gelegenheit, sich meine Sorgen und Nöte anzuhören. Wer wollte, durfte mir ein Kaltgetränk meiner Wahl ausgeben. Die Veranstaltung wurde eigentlich sehr gut angenommen, nicht zuletzt von mir selbst, weil ich mir endlich mal den ganzen Frust von der Seele reden konnte. Die Wähler, die ja ohnehin zur intellektuellen Bequemlichkeit neigen, mussten nichts tun, als zuzuhören.
    Die Politikersprechstunde fand jeweils im Wechsel mit den Treffen der nicht minder beliebten Veranstaltungsreihe «Trinker fragen – Politiker antworten» statt. Zu Letzteren lud ich jedes Mal in ein anderes Lokal, weil die Klientel der Stammgäste und Kneipenhocker ja bekanntlich eine besonders innige Bindung an ihr jeweiliges Wahllokal hat. Erstaunlicherweise war es gerade der trinkende Teil der Bevölkerung, der lebhafte Anteilnahme an politischen Gestaltungsfragen zeigte. Da war die Eindämmung der Bierpreissteigerung genauso Thema wie der Kampf um die Abschaffung des Rauchverbots. Besonders in dieser Frage lag, wie sich bald herausstellen sollte, ungeheures politisches Potenzial.
    Bei der routinemäßigen Wählerschichtenanalyse war dem Politkommissar nämlich aufgefallen, dass die Gruppe der Raucher bislang völlig übersehen und von keiner Partei wirklich vertreten wurde – ganz im Gegenteil: Durch unmenschliche Nichtrauchergesetze machte man einer jahrhundertealten Tradition der Partikelernährung den Garaus. Wir mussten dringend etwas für die Raucher tun.
    In der Kampa-Gaststätte Klabunt inszenierten wir, dem Gaststättenrauchverbot zum Trotz, ein demonstratives Smoke-in. Eine klassische Protestform aus der Hippie-Ära, entstaubt und modernisiert, um weithin sichtbare Zeichen in die Luft zu lassen; und nicht zuletzt eine neue Plakatkampagne vorzustellen. Auf der betreffenden Facebook-Veranstaltungsseite gingen fuderweise Anmeldungen ein. Wer selbst nicht kommen konnte, wollte wenigstens aus der Ferne mitwirken: «Von Hamburg schaffe ich’s nicht. Aber um meiner Solidarität Ausdruck zu verleihen, rauche ich drei Stunden vor dem Haus von Helmut Schmidt», meldete ein Unterstützer. «Ich müsste mit der Bahn anreisen», schrieb ein anderer, «aber dort gibt es keine Raucherabteile mehr.» Eine weitere solidarische Seele postete: «Ich bin leider Nichtraucher, aber ich könnte einen Lkw leihen und ihn den ganzen Abend mit laufendem Motor vor die Kampa-Gaststätte stellen.» Jeder half mit, so gut er konnte.
    Am nämlichen Abend war das Lokal bis auf den letzten Platz gefüllt mit Qualmern, Schmökern, Paffern und Ziftenziehern. Ganze Familien mit Kindern waren gekommen und dübelten, glosten und barzten, was die Lungentorpedos, Bongs und Wasserpfeifen hergaben. In einer gut gestopften Brandrede warb ich für die völlige Abschaffung des Rauchverbots in öffentlichen Räumen, trat für ein Rauchgebot bei Rockkonzerten, Bundestagssitzungen und Gottesdiensten ein und kündigte an, Gratiszigaretten mit dem Aufdruck «Schmitt raucht mit» in Schulen, Tierheimen und Krankenhäusern zu verteilen.
    In dichtem Rauchnebel enthüllte ich schließlich das neue Plakat: «Rauchzeichen – für ein nichtraucherfreies Deutschland.» Darauf war ich selbst zu sehen – wer auch sonst? – mit munter qualmenden Zigaretten, Pfeifen und Zigarren in Mund und Händen. Der Fotoshoot war besonders anstrengend gewesen, ich wurde mehrmals ohnmächtig und hatte hinterher unzählige Brandflecken auf meinem roten Anzug. Für die anwesenden Pressefotografen war der Termin leider ein Reinfall, da bei einer Sichtweite unter einem halben Meter beim besten Willen keine guten Bilder zu

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