Mein Wahlkampf (German Edition)
ohnehin in den Wolkenkratzern arbeite, viel kürzere Anfahrts- beziehungsweise Anlaufwege – und könnte dann auch gleich vor Ort die fünfundzwanzig Euro kommunale Bumssteuer entrichten. Im Grunde sei eben das ein zentraler Bestandteil meines Wirtschaftskonzepts. Jetzt hatte der angeblich so kompetente CDU-Ökonom nichts mehr zu melden.
Nach der Veranstaltung – ich ließ mir gerade vom Pfarrer Messwein kommen und verkaufte Autogrammkarten an Bedürftige – kam ein Mann mit grell orangerotem Strubbelkopf auf mich zu. Er trug Hosen in militärischen Tarnfarben und zwei Nasenringe und wollte wissen, warum ich dieses müde Meeting hier nicht besser und effektiver aufgemischt hätte. So jedenfalls bringe mir das doch nichts. Er könne das sehr gut beurteilen, denn er sei «politischer Aktivist» und habe schon für alle möglichen Organisationen gearbeitet. «Ich hab mich für Greenpeace auf Schornsteine gesetzt, gegen Castor an Gleise geschweißt, den G8-Gipfel in Heiligendamm aufgemischt und für Attac gefälschte Zeitungen gedruckt. Ich weiß, wie man Ärger macht», sagte er und löschte seine Zigarette mit einem deutlich vernehmbaren Zischen im Weihwasserbecken, als wir das Gotteshaus verließen. An meiner Kampagne interessiere ihn vor allem ihr «vager Charakter», und das meine er durchaus nicht positiv, sondern eher im Sinne von «dilettantisch». Er lachte rau. «Da ist noch viel Luft nach oben, glaub mir», sagte er und schnaubte, dass die Nasenringe leise klingelten. Was er genau damit meinte und wie man aus einer Unterhaltung ein Ereignis machte, das sollte er mir bald zeigen.
Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Man kann auch nicht in allen Talkrunden und Diskussionsshows zu Gast sein. Obwohl das das Beste wäre. Doch auch ohne Einladung kann man eine Veranstaltung durchaus für sich nutzen. Vor allem, wenn sie undemokratische und rassistische Tendenzen zeigt.
Der DGB, die Kampforganisation der SPD, veranstaltete eine OB-Kandidaten-Runde in der Frankfurter Bundeszentrale des Gewerkschaftsbundes – zu der ich nicht eingeladen war. Man wollte die Sache wohl unter sich ausmachen, es waren nur die Vertreter der großen Parteien geladen. Wie eben Politik nach Ansicht von Altgewerkschaftlern zu funktionieren hatte.
Ich war nicht der einzige Ausgeladene. Auch ein Mitbewerber aus Schwarzafrika, dessen dunkler Teint sich wohltuend von uns bleichen Kandidaten abhob, war nicht geladen. Was tun?
Der Politkommissar wusste Rat: «Wenn Sie sich öffentlich über Ihre Ausladung beschweren, wirkt das kleinlich und eitel. Viel besser ist es, wenn Sie sich selbstlos für die Belange Ausgegrenzter und Entrechteter einsetzen. Deshalb spielen wir jetzt eine der heikelsten Karten, die es im politischen Geschäft gibt: die Rassismuskarte.» Sprach’s, griff sich den Laptop und setzte eine Presseerklärung auf, die Minuten später in den Frankfurter Redaktionen eintraf.
Am nächsten Tag berichteten die Zeitungen:
«Undemokratische und rassistische Tendenzen beim DGB. Empört zeigte sich Oliver Maria Schmitt (Die PARTEI) über den Deutschen Gewerkschaftsbund. ‹Ausgerechnet der DGB›, schimpft Schmitt. Solch eine Willkür habe er von Gewerkschaftlern nun wirklich nicht erwartet. […] Egoismus kann man dem ungeladenen PARTEI-Mann sicher nicht vorwerfen. Denn nicht nur über seine eigene Nichtberücksichtigung, sondern auch über die ausbleibende Einladung für einen weiteren Kandidaten zeigt er sich bestürzt: ‹Der DGB unterstützt nicht nur undemokratische, sondern sogar rassistische Tendenzen, da auch der einzige schwarze Bewerber nicht eingeladen wurde›, meint der OB-Kandidat.»
«Wir gehen natürlich trotzdem hin», entschied der Aktivist, der plötzlich unangemeldet in der Kampa-Gaststätte stand.
«Aber sie werden mich nicht sprechen lassen», sagte ich.
«Du wirst sprechen. Die haben dort im Gewerkschaftshaus eine Funkmikrophonanlage. Es gibt in Deutschland nur zwei unterschiedliche Systeme, für beide bringe ich Mikros mit. Du kannst dich dann vom Saal aus jederzeit in die Diskussion einmischen. Das ist sogar viel besser, als auf der Bühne zu sitzen.»
Am Eingang zum DGB-Haus war Taschenkontrolle. Securityleute inspizierten jeden einzelnen Rucksack, schließlich war auch der hessische Innenminister Gast auf dem Podium. Der Aktivist war schwer bepackt mit Mikrophonen, Kameras und Wahlplakaten. Da würden wir niemals durchkommen, dachte ich. Doch just, als wir an der Reihe waren, ging vor dem
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