Mein Wahlkampf (German Edition)
Haus eine Batterie Feuerwerkskörper in die Luft, alles stob auseinander, die Gewerkschaftler stritten mit den Sicherheitsleuten, irgendein albernes Kompetenzgerangel, sie waren sehr mit sich selbst beschäftigt – und wir beide waren auf einmal drin.
«Die werden immer kleinlicher, diese Spießer», befand der Aktivist, zog seine Schiebermütze tiefer ins Gesicht und steckte sein Feuerzeug wieder ein. «Neulich wollten die mich bei einer Diskussionsrunde mit Josef Ackermann und Peer Steinbrück nicht reinlassen, nur weil ich ein Megaphon, eine Pauke und einen Rucksack mit Raketen dabeihatte. Die spinnen doch, diese Idioten.»
Der Saal war gestopft voll, der DGB hatte seine Rentnerkohorten mobilisiert und in Sonderbussen hergekarrt. Wir drückten uns bis zum Bühnenrand durch. Da stand schon der Landesvorsitzende und ließ sich vom Aktivisten die Kameras geben. «Alles, was du machst, musst du dokumentieren und hinterher sofort ins Netz stellen», hatte der Aufruhrexperte uns belehrt, «damit die Gegenseite hinterher keine Märchen erzählen kann.»
Dann ging es los und alles sehr schnell. Der Gewerkschaftsboss begrüßte Publikum und geladene Gäste, der Aktivist zog seine beiden Mikrophone aus der Innentasche und sprach abwechselnd in sie hinein – doch es war nichts zu hören.
«Scheiße, die Ficker haben das neue System, das kann mein Mikro noch nicht. Los, geh auf die Bühne, hol dir dort ein Mikro», sagte er und stieß mich nach vorn. «Ich halte die Security ab.»
«Wie soll ich da durchkommen?», fragte ich. «Da stehen überall Sicherheitsleute.»
«Kein Problem», raunte er, schob mich dann von sich und fing plötzlich an, hysterisch zu schreien: «Rauuuuch-zeichääään! Rauuuuch-zeichääään! Rauuuuch-zeichääään gegen Rassismus und Intoleranz!» Dabei hielt er unsere «Rauchzeichen»-Plakate hoch und löste mit der anderen Hand eine gasbetriebene Stadionfanfare aus. Der Lärm war hörgerätebetäubend.
Sofort stürzten sich die Sicherheitsleute auf ihn, der Weg auf die Bühne war frei. Ich riss dem Gewerkschaftsboss das Mikro aus der Hand, wünschte dem Publikum viel Vergnügen bei dieser scheindemokratischen, rassistischen Veranstaltung, man solle nur ordentlich bestellen, alle Getränke gingen aufs Haus: «Der DGB zahlt alles!» Pressefotografen und Fernsehteams umringten mich, der Aktivist trötete sich den Weg frei, die Securityleute wurden zurückgepfiffen, um noch peinlichere Bilder zu vermeiden. So entstanden die Aufnahmen, die sich hinterher in Zeitungen und TV-Sendungen fanden, denn mein Auftritt sollte der einzig spannende Moment dieser insgesamt monströs drögen Gesprächsrunde bleiben.
Feindliche Veranstaltungen kapert man am besten gleich am Anfang, wenn alle noch wach und die Fotografen noch da sind.
Nach den überragenden Erfolgen meiner Diskussionsrundenauftritte wartete ich nun also gespannt auf meine nächste Einladung. Merkwürdig … von den großen Sendungen im Fernsehen rief niemand an. Ob ich da mal nachhaken sollte? Glaubten die vielleicht, dass ich ihren Sendungen nicht gewachsen sein könnte? Das war natürlich totaler Quatsch – ich fühlte mich allen Diskussionsherausforderungen gewachsen. Absolut total allen. Außer einer.
Es gibt nämlich ein öffentliches Forum, das ein Politiker auf jeden Fall und um jeden Preis meiden sollte, wenn er nicht als Verlierer und Versager ausgestellt werden möchte: die gemischte Diskussionsrunde in Schulen. Mit «gemischt» meine ich nicht die Kandidaten, sondern das Publikum. Über meine fragwürdigen Erfahrungen mit Schulkindern habe ich ja schon berichtet. Kommen dann noch die Eltern hinzu, wird es vollends unerquicklich. Dann wird die Veranstaltung eine Zumutung.
Der Inspizient hatte eine Einladung zu einem Kandidatenforum im Philipp-Reis-Gymnasium irgendwo in Frankfurt klargemacht. Das Gespräch fand also nicht nur vor Schülern statt, sondern auch vor deren Erzeugern. Gleich zu Beginn erklärte der Schuldirektor den anwesenden Kindern und ihren Eltern, dass es heute Abend zwar auch um Bildungsbelange gehen solle, wir Kandidaten aber eigentlich nicht ganz die richtigen Ansprechpartner dafür seien – Bildung sei schließlich Ländersache, und der Oberbürgermeister habe da «nur sehr begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten». Ich fand es prima, dass der Direktor das noch mal herausstellte. Denn Bildungspolitik interessiert mich nicht die Bohne.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Noch bevor wir Kandidaten uns
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