Mein Wahlkampf (German Edition)
«Themenwechsel. Wie scheiße finden Sie eigentlich die Sendung von Plasberg?» Oder so was Ähnliches.
Mit etwas Glück würde ich nicht allzu häufig drangenommen werden, und nach der Sendung könnte ich mit Schmidt heimlich auf dem Klo eine rauchen. Perfekt, da würde ich hingehen. Sandra – ruf mich an, ich komme!
Mir ist nur noch nicht klar, über welches Thema ich dann sprechen soll. Wenn ich menschlich rüberkommen und nicht als kalter Machtapparatschik dastehen will, muss ich notgedrungen über persönliche Probleme sprechen. Davon habe ich eigentlich nie zu knapp. Erst recht nicht, seit ich in die Spitzenpolitik eingestiegen bin.
Schon im Kampf um die Macht in Frankfurt spürte ich genau, dass der Wahlkampf inzwischen die totale Kontrolle über mein Leben gewonnen hatte. War ich noch wenige Wochen zuvor ein Mensch gewesen, der vierundzwanzig Stunden am Tag Gelegenheit hatte, sich mit sich selbst zu beschäftigen, so waren bald zahllose andere Menschen vierundzwanzig Stunden damit beschäftigt, mich genau davon abzuhalten. Es gibt eindeutig ein Davor und Danach: ein selbstbestimmtes Leben vor dem Eintritt in die Vollzeitpolitik – und ein fremdbestimmtes Danach.
Für mein altes Leben hatte sich bislang außer mir niemals jemand interessiert. Mein neues Politikerdasein dagegen fand in der Öffentlichkeit statt. Man berichtete über meine Worte und meine Taten. Das gefiel mir. Hatte mir zuvor alles Mögliche Kopfzerbrechen bereitet, auch die Probleme anderer, so schob ich diese nun, gelöst oder ungelöst, einfach weg. Es kamen ja ständig neue, und irgendwie würden die alten sich schon irgendwann lösen. Ich hatte dafür jedenfalls keine Zeit. «Ein Mensch, der in jeder Hinsicht für das Gute einstehen will, muss inmitten von so viel anderen, die nicht gut sind, zugrunde gehen», erkannte schon Niccolò Machiavelli. Und auch mein zukünftiger Amtsvorgänger Konrad Adenauer sprach mir aus der Seele: «Wissen Sie, ich bin ursprünglich weich und empfindsam gewesen, aber der Umgang mit den Menschen hat mich hart gemacht.»
Selbst in meinem unmittelbaren PARTEI-Stab zeichneten sich bald wenn schon nicht Probleme, so doch mindestens merkwürdige Veränderungen ab. Dass alles kein Spiel mehr war, bemerkte ich, als ich einmal in einer eisigen Winternacht mit dem Politkommissar unterwegs war. Straßenagitation.
Es hatte gerade frisch geschneit, und wir schrieben mit dem Finger «Schmitt wählen» in die noch jungfräulich weiße Schneedecke auf den Windschutzscheiben der parkenden Autos. Das koste nichts und sei sehr effektiv, sagte der Inspizient und zog den Finger so schnell durch das Weiß, dass mein Name fast unleserlich war. Nachdem er eine Stunde und mehrere Straßenzüge lang stumm sein Kritzelwerk verrichtet hatte, wollte er es wissen: Was ich denn eigentlich – so unter uns – vom mächtigen Landesvorsitzenden hielte. Damit ich ihn nicht falsch verstände – er wolle keineswegs an der Person des Landesvorsitzenden herummäkeln. Dieser sei sicher «ein fähiger Mann», der sich auch sichtlich «den Arsch aufreißt, für Sie, für uns, für die PARTEI». Doch mache er, der Landesvorsitzende, auf ihn, den politischen Inspizienten, in letzter Zeit auch einen ziemlich «überforderten», wenn nicht sogar «stark abwesenden» Eindruck. Kurz und gut: Er, der inspizierende Kommissar, habe das Gefühl, dass er «nicht alles anders, aber vieles besser» machen könnte als der bisherige Landeschef.
«Aaaah: nicht alles anders, aber vieles besser. Der Klassiker! Und Sie glauben also», wollte ich daraufhin wissen, «nachdem Willy Brandt, Gerhard Schröder, Edmund Stoiber und der dicke Gabriel diesen Spruch bemüht haben, dürfen Sie das auch?»
Der Spitzbärtige lächelte verlegen.
«Warum nicht mal alles anders machen, aber nichts besser?», fragte ich ihn – merkte dann aber, dass dies keinen besonderen Sinn ergab. Ich könne ihm in dieser Hinsicht keine konkreten Zusagen machen, sagte ich, aber wir wüssten ja beide nur zu gut, dass in der Politik immer jederzeit alles möglich sei. «Und Sie wissen», fügte ich hinzu, «was Ihr Lehrmeister Mao in seine rote Bibel reingeschrieben hat: ‹Um ein guter Gruppenführer zu werden, muss der Sekretär intensiv lernen und die Probleme gründlich studieren.›»
Der Politoffizier nickte beflissen, schob seinen Finger wieder durch den Schnee und verschrieb sich prompt: «Schitt wählen!»
Oder war es Absicht?
Das canvassing der letzten Tage, der Wahlkampf
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