Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
Land, für Lieferungen hierher, für Einkäufe von hier zunehmen würden, und das bedeutet, dass wir alle objektiv ärmer werden. Und zwar jedes Mitglied der Gesellschaft, und nicht nur die Oligarchen oder die jungen Wölfe. Also gut, gehen wir mal davon aus, dass die einen ihre Positionen halten und die anderen den Durchbruch erzielen wollen. Das sind Dutzende, von mir aus Tausende. Die übrigen Millionen wollen einfach nur normal leben. Deshalb versuchen wir auch die Normen zu übernehmen, die die westliche Gesellschaft zu bieten hat.
Was heißt das konkret?
Demokratie, Transparenz, soziale Verantwortung der Unternehmer, Corporate Citizenship – lauter sehr nachvollziehbare Dinge. Unser Kampf für eine Wirtschaftsethik ist in gewissem Sinne natürlich eigennützig. Ja, wir haben davon Vorteile. Und ja, manche unserer Konkurrenten, die den Durchbruch noch nicht geschafft haben, haben davon Nachteile. Aber ich sage es noch einmal: Für die Gesellschaft insgesamt ist unsere Position zum gegenwärtigen Zeitpunkt von Vorteil.
In diesem Fall riskieren Sie allerdings, allzu losgelöst zu sein und am Ende womöglich allein dazustehen, zusammen mit Ihren neuen Regeln für Russland.
Irgendwer muss eben weiter sehen als die anderen und am eigenen Beispiel vormachen, dass ein vernünftiges Leben nicht nur möglich, sondern auch besser ist. Ich versuche nicht, uns als Mutter-Teresa-Jünger darzustellen …
Das kann man Ihnen in der Tat nicht vorwerfen. Der Begriff ›Geldwäsche‹ ist inzwischen in aller Munde. Aber es gibt ja auch das Konzept, dass man sein Image reinwäscht, die ›Image-Wäsche‹. In Ihren Interviews im Westen erwähnen Sie nicht von ungefähr Rockefeller als Figur, die man sich zum Vorbild nehmen kann. Rockefeller konnte sich erst in der dritten Generation ›reinwaschen‹, erst sein Enkel war ›sauber‹. Er war von seinem Großvater gut 100 Jahre entfernt. Und Sie wollen gleichsam diese 100 Jahre in Ihrem Leben überspringen.
Natürlich möchte ich das noch in meinem eigenen Leben schaffen. Das ist eine objektive Anforderung der Geschäftswelt: Es gewinnt der, der schneller ist. Sie wundern sich doch auch nicht, dass der Weg vom Pferd zur Eisenbahn Jahrtausende gedauert hat und von der Eisenbahn zum Raumschiff nur ein Jahrhundert. Das gleiche gilt auch für das Rockefeller-Problem. Ich war irgendwann in Harvard, und dort hielt der Direktor der Wirtschaftsfakultät eine kleine Rede. Er sagte, Chodorkowski ist Rockefeller, Rockefellers Sohn und Rockefellers Enkel in einer Person. Aber Rockefeller hatte es viel schwerer. Damals gab es keine fertigen Regeln. Es hat ein ganzes Jahrhundert gedauert, bis sich eine Wirtschaftsethik herausgebildet hatte. Damals nahm das drei Generationen in Anspruch. Wir haben es da einfacher.«
Ich erinnere mich noch sehr gut an Chodorkowskis Geste während unseres Gespräches, als ich ihn fragte, ob er nicht ein zu großes Risiko einginge, wenn er in einem Land wie Russland und unter dem aktuellen Regime versuchte, aus dem Mainstream auszuscheren. Er lächelte: »Eins zwei drei«, und dazu schnipste er mit den Fingern, »und Chodorkowski gibt es nicht mehr – das funktioniert immer noch. Aber eins zwei drei«, und er schnipste noch einmal mit den Fingern, »und Yukos gibt es nicht mehr – das funktioniert heute nicht mehr.« Zwei Jahre nach unserem Gespräch gab es Yukos nicht mehr.
Für Michail Chodorkowski und sein Unternehmen wurde im Ausland massiv Publicity gemacht. Damals wie heute hatte ich das Gefühl, dass er aber gerade im Inland nicht genug PR bekam. Das bestätigten auch die Meinungsumfragen zum Zeitpunkt seiner Verhaftung: Sein Wiederkennungswert lag im Bereich der statistischen Fehlerquote: zwischen ein und drei Prozent. Sein Name war nur in seinem beruflichen Umfeld und in der Experten-Community bekannt, über seine humanitären Projekte wussten trotz ihrer geografischen Reichweite nur die Bescheid, die selbst daran beteiligt waren. Er war keineswegs in ganz Russland bekannt – heute kann man sich das kaum vorstellen. Als »wichtigster Häftling des Landes« ist er viel berühmter geworden denn als Unternehmer und Inhaber einer der größten Erdölgesellschaften. Ich dachte damals, dass er sich angesichts der unterschiedlichen Risiken in Russland vielleicht »von außen« absichern wollte, indem er sich Anerkennung im Westen verschaffte. Vielleicht war das aber auch einfach eine leichtere Aufgabe, als sich im eigenen Land ein positives Image
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