Mein wirst du bleiben /
töten?«
»Oder Altenpfleger. Genau. Erinnerst du dich an den Fall Irene B. aus der Berliner Charité? Das ging vor ein paar Jahren durch die Presse. Die Krankenschwester hat mindestens sechs Patienten getötet.«
»Sie galt als unerbittlich streng und hat sich über Kollegen und Ärzte lustig gemacht.« Ehrlinspiel nickte. »Und trotz des Verdachts wegen mysteriöser Todesfälle während ihrer Dienstzeiten ist lange kein Vorgesetzter oder anderer Pfleger eingeschritten.«
»Irene B. war fünfunddreißig Jahre mit der Hilflosigkeit anderer konfrontiert. Und damit, dass in den meisten Kliniken kaum mehr Zeit für die Menschen bleibt. Minutengenaue Dienstpläne, Hektik, Druck. Das macht hart. Man gibt und gibt. Und wenn man nicht auf sich aufpasst, verliert man den Bezug zur Realität.«
»Wie Miriam?« Ehrlinspiel bog in die Heinrich-von-Stephan-Straße ein.
»Todesengel geben manchmal auch Mitleid vor – töten aber oft aus Egoismus. Da spielen Macht und Dominanzstreben eine Rolle. Manche glauben, das Leben sei ihnen etwas schuldig geblieben. Etwa eine Chefarztstelle oder den Status als Heilerguru. Stattdessen schuften sie ganz unten in der Hierarchie und glauben, mit ihren Taten dennoch etwas Großes zu leisten. Eine Art Erlöser zu sein.«
»Sie spielen sich als Richter über Leben und Tod auf.«
»Ich will sie nicht entschuldigen. Nur ihr Motiv erklären.«
»Miriam Roth ist weder Krankenschwester noch Altenpflegerin. Und sie hat nach unseren Erkenntnissen den Opfern nie bei irgendetwas geholfen«, wandte Moritz Ehrlinspiel ein.
»Genau das ist der Punkt. Vielleicht handelt sie für ihre Mutter? Stellvertretend? Sie sieht, wie die sich mit den Nachbarn vermeintlich abplagt. Die Mutter erzählt ihr womöglich noch, dass sie leiden, Schmerzen haben, vereinsamen. Was passiert? Miriam erledigt, was die Mutter nicht schafft: Sie beendet das nicht lebenswerte Leben.«
Ehrlinspiel sah Freitag an. »Das hieße aber, dass die Mutter eventuell in Gefahr ist. Denn die ist in Miriams Augen ja auch krank und gebrechlich.«
»Es hieße auf jeden Fall, dass Miriam tatsächlich gestört ist.« Freitag stieß Luft durch die Nase aus. »Sieht sogar Fernrohre auf sich gerichtet!«
Ehrlinspiel fuhr in den Carport der Polizeidirektion und parkte unter dem Blechdach neben den beschlagnahmten Mofas und Motorrollern. »Hanna Brock hat es auch gesehen.«
»Wie bitte?«
»Als ich mit ihr in der Wohnung war. Wegen des Parfums. Ich habe ihr nicht geglaubt, das hat einfach zu absurd geklungen.«
»Das
ist
absurd, Moritz!«
»Wir überprüfen Paschek sofort.«
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32
Freitag, 13. August, Abend
S ie krümmte sich über die Toilettenschüssel des Patienten-WCs, hustete, würgte, und die Reste von Bratkartoffeln und Eiern des Mittagessens rutschten zusammen mit zähem Schleim das weiße Emaille hinunter. Sie fror. Zitterte. Brauchte etwas zu trinken. Schnaps. Whisky. Wodka. Egal. Hauptsache, etwas Starkes.
Gabriele Hofmann wischte mit Toilettenpapier ihren Mund ab und spülte ihr beschissenes Leben in die Abwasserkanäle der Stadt.
Sie hätte heute nicht zur Arbeit kommen sollen. Doch seit Montag wartete sie verzweifelt, dass Thea Roth in der Praxis auftauchte, ihr erklärte, warum sie nicht zu Hause gewesen war, als Gabi mit den Fluoxetin-Tabletten und dem Vitamin-B-12-Präparat vor ihrer Haustür gestanden und nur die völlig überdrehte Tochter angetroffen hatte.
Der letzte Patient war längst gegangen, und auch ihre Kolleginnen waren beschwingt von dannen gezogen. Sie hatten von einer Party und einem Klamottenladen geschwärmt, der morgen eröffnete und wo es taillierte Spitzentops gab. Auf die jungen Dinger warteten Verführer. Auf Gabi Trostlosigkeit und Isolation.
Seit sie nach dieser Mittagspause in die Praxis zurückgekehrt war, die Medikamente noch in der Handtasche, war jede Stunde zäher geworden. Hatte sich zu einem Tag, einer Woche gedehnt, während Gabis Hoffnung zu mehreren Gläsern Wein geschrumpft war, und als die nicht mehr genügt hatten, zu Gin und Wodka. Jetzt rebellierte ihr Körper. Eingeweide, Darm, Magen, ihre vergiftete Leber, die garantiert schon so klein und verschrumpelt wie ihr Körper fett war, und ihre ekelhafte Feigheit. Ganz zu schweigen von der Leere, die sich mit der Angst vor Harald zu einer Lawine aus Zorn und Nutzlosigkeit mischte.
Sie schrubbte unter heißem Wasser die Hände mit Seife, und ihr Blick streifte den Spiegel, sah dieses rote, glänzende Gesicht mit den
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