Mein wirst du bleiben /
verschloss sich vor ihr. Sie war so abscheulich, dass sogar Thea sich von ihr distanzierte. Taumelnd stieg sie die Treppe hinunter. Draußen drehte sie sich zum Haus um. Die Tochter zog die Vorhänge zu, ihr Blick schoss so giftig zu ihr hinab, dass Gabriele laut aufschluchzte.
Wodka. Gin!
Sie fingerte in ihrer Handtasche herum. Nichts. Nur Flimmern, Schweißgeruch und Fußgelenke, die schmerzten. Sie ging weiter, wie in Trance, begriff nicht, was sie falsch gemacht hatte, und stand irgendwann vor dem
Frischeparadies.
Sie kaufte eine Flasche Wodka und eine Flasche Dry Gin, setzte sich vor dem Supermarkt auf den Fahrradständer und trank. Wie eine Pennerin, dachte sie, sah den Autos nach, die neben ihr aus der Tiefgarageneinfahrt kamen, beobachtete das Treiben auf der Wiese gegenüber, glückliche Leute, die sich sorglos auf Decken rekelten, Federball spielten und picknickten, und goss sich die scharfe Flüssigkeit in die Kehle. Das ist das Ende. Pennerin Gabi.
Als die Abenddämmerung einsetzte, kam ein Mann in orangefarbener Schutzkleidung und jagte sie weg.
Gabriele trottete die Straße entlang Richtung Hochhaus, die Flasche in der Hand.
An der großen Kreuzung bemerkte sie ihn. Den Schatten, der ihr folgte. »Harald«, lallte sie und begann zu lachen. »Du willst einer besoffenen Pennerin Angst einjagen?« Ein paar Leute drehten sich zu ihr um, sie sah in fremde Augen, ein wildes Durcheinander bunter Lichter. Er kam näher. Sie lief los, über die Straße trotz der roten Ampel, achtete nicht auf das Hupen und Quietschen der Bremsen, torkelte weiter, keuchte, erreichte den Fußweg zum Haus und steckte zitternd den Schlüssel in die Tür. Die Schritte waren dicht hinter ihr.
Vor dem Aufzug blieb sie stehen, die Graffiti glotzten sie an, auf dem Boden lagen Werbeprospekte. Sie drückte die leuchtende Taste, und ihre angstfeuchten Finger rutschten ab. Die Treppen würde sie nicht schaffen, doch auf ihre Klaustrophobie konnte sie keine Rücksicht nehmen. Als der Aufzug im Schacht gegen die Wände schlug, begann bereits das Herzrasen, ihr Mund wurde trocken, und sie schnappte nach Luft.
Bitte, jetzt keine Panikattacke.
Die Haustür schlug zu, sie fuhr herum, sah den Mann auf sich zukommen, als sich endlich die Aufzugtüren vor ihr aufschoben. Sie stolperte hinein,
das ist nicht Harald!,
drückte auf die Ziffer 11, die Türen glitten zu. Es ruckelte, sie griff sich an die Kehle, während die Wände auf sie zukamen und sie vor sich hin brabbelte wie ein kleines Kind: »Ich komme hier nicht mehr raus, nie wieder.« Weinend rutschte sie an der Kabinenwand zu Boden, Schweiß rann kalt ihren Rücken hinab.
Dann blieb der Aufzug stehen. Die 11 blinkte.
Geschafft!
Erleichtert stieß sie einen glucksenden Laut aus.
Jetzt schnell in den Bunker.
Die Türen öffneten sich. Gabriele starrte hinaus.
Freitag, der Dreizehnte. Der Tag, an dem schlimme Dinge passieren.
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33
22:00 Uhr
D er Sternenhimmel wölbte sich wie ein Gewand Gottes über der Erde. Aus jedem Lichtpunkt sah der Herr ihn an. Es duftete nach Punsch, und das Knistern des Lagerfeuers wetteiferte mit fröhlichem Lachen. Tobias Müller sah die glühenden Wangen der Jugendlichen und die Funken, die vor den Holzbuden in die Nacht stoben. Die jüngeren Kinder waren schon in das große Zelt gekrochen. Nach einer Schnitzeljagd am Nachmittag, bei der sie die Tage der Schöpfungsgeschichte nacherlebt, danach Tiermasken gebastelt und einen großen Lebensbaum aus Pappe gebaut hatten, warteten sie mit Schlafsäcken, Zahnbürste und einem Kuscheltier auf ihren Hirten. Morgen würden sie etwas über das Licht Gottes hören, zur Einstimmung auf den Eltern-Kind-Gottesdienst am Sonntag, der um sechs Uhr früh, genau zum Sonnenaufgang, stattfand. Es würde ein anstrengendes Wochenende werden. Müller legte den Kopf in den Nacken. Bisher war ihm alles gelungen.
Dass Thea Roth nicht aufgetaucht und das Waffeleisen kalt geblieben war, hatte ihn nicht überrascht. Er hätte nach ihr sehen sollen. Doch die Kinder hatten ihn völlig in Anspruch genommen. Wenn sie morgen auch ausfiel, musste er im Bibelkreis nach Ersatz suchen. Er brauchte alle helfenden Hände.
Ein Junge stürmte aus dem Zelt und zupfte ihn am Hosenbein. »Du musst mit uns singen, du hast es versprochen.«
Der Pfarrer strich über den blonden Lockenschopf. »Klar, Max.« Das Kindergesicht machte ihn froh, und sie liefen um die Wette, er ließ Max gewinnen, und lachend warfen sie sich auf die Matratzen, die wie
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