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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Wortsinne nach. Altgriechisch
s’chizein
heißt abspalten und
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Seele. Wie auch immer: Die typischen Symptome kannst du laut Pflegeschwester bei Miriam sehen. Halluzinationen, Wahnvorstellungen und eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Ichs. Die Leute hören oft Stimmen oder haben Angst, dass ihre Gedanken gestohlen werden. Die Krankheit tritt schubweise auf.«
    »Verstehe. Und wie sieht das konkret aus?«
    »So«, sagte Josianne und legte das aufgeschlagene Heft auf den Flügel. Lorena stieß einen leisen Pfiff aus.
    Ehrlinspiels Blick fiel auf eine dunkelrote, kräftige Schrift, die sich zwischen den Notenlinien durchzog. Die großen Anfangsbuchstaben waren auffallend geschwungen. »Ich ruf zurück, Frank«, sagte er und klappte das Handy zu.
    Ich würde gern die Augen schließen. Stille haben. Doch Gott lässt mich nicht. Sein Lob dröhnt in meinem Kopf, und sein Licht leuchtet in meine Seele, und ich selbst bin das Licht. Denn ich habe den Mann getötet. Und es war gut.
     
    Schon beim Frühstück habe ich es gewusst. Du hast mich angesehen mit diesem Blick. So wie damals, Mama, als du vor mir lagst. Leere Augen, ausgesaugt, vergiftet. Damals hast du es versprochen, an dem einzigen Tag, an dem du kurz wach warst und geflüstert hast: »Ich bin bei dir, Kind. Ich verlasse dich nicht. Ich liebe dich.«
    »Es ist Miriam!«, sagte Ehrlinspiel und schlug mit der flachen Hand auf das Heft. »Wir hatten die ganze Zeit recht. Verdammt noch mal!«
    »Aber warum?« Lorena und Josianne sprachen wie aus einem Mund, und Josianne ergänzte: »Ich verstehe das Motiv immer noch nicht.« Sie beugten sich wieder über das Notenbuch, der silberne Armreif der Oberstaatsanwältin schlug metallen auf das Instrument.
    Alle haben geschrien, das Baby, sein Vater, der Hund und Gott in meinem Kopf. Nur du hast in deinen Kaffee gelächelt, als ginge dich das alles nichts an! Du hast gelächelt, weil das Dunkel dich blind gemacht hat für unser Licht und unsere Liebe. Du hast gesagt, du gehst am Abend zu diesem Mann. Für eine halbe Stunde. Aber ich habe genau verstanden. Er wollte dich mir wegnehmen. Für immer! Ich habe das grausame Kreischen in deiner Stimme gehört und gesehen, dass er dich in seinem Netz des Hasses gefangen hat.
     
    Das Heer der Bösen wächst, seit du schwach warst. Schon damals haben sie Monitore aufgestellt und gedacht, ich durchschaue die Verschwörung nicht. Um dein Bett sind sie gestanden, ihre hellen, runden Gesichter haben mich feindselig angestarrt, und ihre weißen Kleider sollten mich täuschen. Aber ich habe die Bibel fest umklammert und immer wieder gesagt: »Ich bin das Licht der Welt.« Da haben sich die Weißkittel offenbart, und aus den Flügeln der Finsteren haben sich Federn gelöst, getränkt mit tödlichem Gift, und die Kiele sind auf mich zugeschossen, und einer hat mir mit seiner hasserfüllten Fratze entgegengeschleudert: »Ihre Mutter wird es nicht schaffen.« Doch ich habe mich auf dich geworfen. Schützend. Denn es war der Satan selbst und sein Gefolge, und er hat gesagt: »Sie ist jetzt tot, glauben Sie uns«, und mich auf die Straße geschickt.
     
    Auf dem Heimweg habe ich ihre Blicke gespürt, überall. In der Straßenbahn und auf dem kurzen Stück von der Haltestelle nach Hause, und noch immer sind die giftigen Federn in mir gesteckt. Alle haben es gesehen. Alle haben gewusst, dass sie mich von dir weggeschickt haben, und mich höhnisch angerempelt. Meine Schritte haben gehallt, ich bin gelaufen, immer schneller, weg von ihren Schwingen, mit denen sie auch mich fangen wollten, und dann sind die Schritte zu dem herrlichen Choral geworden: »Mir hat die Welt trüglich gericht’ mit Lügen und mit falschem G’dicht, viel Netz’ und heimlich Stricken.« Es war Gottes eigene Stimme. Da habe ich gewusst, dass du lebst und zurückkehrst.
    »Meine Güte, das ist ja völlig durchgeknallt«, sagte der Kollege. »Sie glaubt wirklich, dass die Fremde ihre Mutter ist? Aber wo hat sie die aufgegabelt?«
    Das Chaos in mir breitet sich aus, und meine Angst und Verzweiflung wachsen. Martin Gärtner ist ein Abgesandter. Er hat dich gelockt. Als du beim Frühstück die Milch in deinen Kaffee gegossen hast, wusste ich es. Alles war anders. Entsetzlich. Unbegreiflich. Milch, so weiß, so rein. Ein Zeichen! Nur Reinheit kann dem Bösen Tod bringen. Ich musste dich befreien. Es war so einfach. Glaubst du, ich weiß nicht, dass du einen Schlüssel von ihm hast? Ich habe euch gesehen. Du bist aus

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