Mein wirst du bleiben /
zurück!«, hat Kora gesagt, und sie hat geantwortet: »Am fünften September.« Und gedacht hat sie: Frag bitte nicht, ob ich es länger als eine Woche ohne ihn in Hamburg aushalte.
Hanna packte den Stoff. Jeder Atemzug war eine Qual. Hatte sie Fieber? Phantasierte sie? Sie zog das Kleid von ihrem Kopf. Es schien lang und schmal geschnitten. Mühsam schob sie ein Ende hinter sich und zog es auf der andern Seite wieder hervor. Wickelte es ein zweites Mal um sich. Dann versank sie in einem schwarzen Nichts, fing sich, schwebte wie im Dämmerzustand dahin.
Gebückt sucht sie die Wiese neben dem Waffelstand ab. Das Gras ist zertrampelt, und wahrscheinlich hat längst jemand ihr iPhone gefunden und freut sich jetzt über eine Million Gratistelefonate in alle Welt. Ich bin bescheuert, denkt sie. Ich hätte von Freitags aus beim Betreiber anrufen und es sperren lassen sollen. Verdammter Eigensinn. Sie sucht weiter. Nach mehr als einer Stunde gibt sie auf. Natürlich ist das Taxi weg. Sie geht zur Straßenbahnhaltestelle. Dann sieht sie die Frau vom Waffelstand. Super! Vielleicht hat die ihr iPhone gefunden. Aber die Frau schaut sie nur an, als sei sie der Leibhaftige selbst, und rennt davon. Sie riecht heute nicht nach Kenzo.
Irgendwo fiel eine Tür zu. Hanna schlug die Augen auf. Richtete sich auf, wollte schreien, fiel hart zurück, Schmerz durchzuckte ihren Nacken, und ihr Ruf blieb ein leises Krächzen. »Wasser!«, flehte sie leise. »Bitte, Wasser.« Dann dämmerte sie weg.
[home]
43
D er Suchtrupp durchkämmte das gesamte Festgelände, kontrollierte jede Bretterbude im Eschholzpark, das Kinderkarussell, die kleine Holzbühne. Es war zwanzig nach fünf, und seit einer guten halben Stunde gingen Polizisten auch die umliegenden Straßen ab, fächerförmig, bis in die weiter entfernten Wohnviertel. Straßenbahn- und Busfahrer waren informiert, ebenso die Taxiunternehmen, und am Bahnhof waren acht Kollegen postiert.
Ehrlinspiel umklammerte die schwere Stablampe und ließ den Lichtkegel über das zertretene Gras wandern. An seiner Seite hing ein Funkgerät. Tausende Füße waren hier herumgetrampelt. Schlechtere Voraussetzungen gab es kaum. Ein paar Meter entfernt ging Josianne Schneider, ebenfalls mit Speziallampe. Noch immer hallte die Stimme seines Kollegen in Ehrlinspiels Ohr: »Hanna Brock ist nicht in ihrer Ferienwohnung. Der Taxifahrer hat bestätigt, ›eine dunkelhaarige Frau um die vierzig‹ bei Freitag abgeholt und um zwanzig nach zehn an der Kreuzung Fehrenbachallee/Wannerstraße abgesetzt zu haben.« Der Fahrer habe sie noch gefragt, warum sie nachts allein in der Gegend unterwegs sei, wo doch »ein Mörder da rumläuft«. Hanna habe abgewunken, ihn gebeten, fünfzehn Minuten zu warten, und sei hinter der Max-Weber-Schule Richtung Eschholzpark verschwunden. Als sie nach einer halben Stunde nicht zurück gewesen sei, sei er weggefahren. »Und warum hat der verdammte Kerl nicht die Polizei gerufen?«, hatte Ehrlinspiel den Kollegen gefragt. Der Boden unter seinen Füßen hatte sich wie eine ausgeleierte Matratze angefühlt. »Er ist Pakistani. Du weißt doch, Moritz, sie haben mit Vorurteilen zu kämpfen …«
Doch Ehrlinspiel hatte nichts gewusst. Überhaupt nichts. Er war losgerannt, durch die Dunkelheit, vorbei an der Kreuzung und der Schule zum Festplatz, alle Müdigkeit in Angst erstickt und mit dem Gefühl, sein Kopf müsse explodieren. Wie oft er Hannas Nummer gewählt und die Mailbox verflucht hatte, hatte er nicht gezählt.
Bierdosen und Fetzen von Plastiktüten lagen auf der Wiese, die Umrisse der Festbuden hoben sich wie schwarze Rechtecke vom tiefblauen Nachthimmel ab, an dessen Horizont jetzt ein hellerer Streifen die Dämmerung ankündigte.
Herrgott noch mal, was hatte Hanna hier bloß gesucht? Mitten in der Nacht? Sie wollte doch nach Ehrenkirchen zurück. Warum hatte sie nichts gesagt? Nicht wenigstens eine SMS geschickt?
Erneut drückte er die Wahlwiederholung. Die Handyortung hatte er bereits veranlasst. Doch das konnte dauern. Auch der einzige Spezialspürhund, der ihnen helfen konnte, würde frühestens gegen sechs Uhr eintreffen: Der nächste Mantrailer – der im Gegensatz zu normalen Fährtenhunden die Gerüche verschiedener Menschen voneinander unterscheiden konnte – war in Bonndorf stationiert. Bis der samt den drei zugehörigen Männern einsatzbereit und aus dem Schwarzwald hier war … Das Tier orientierte sich an Duftmolekülen, die es aus Haut- und Haarschuppen
Weitere Kostenlose Bücher