Mein wirst du bleiben /
aufnehmen konnte – oder aus dem Blut, falls der Mensch verletzt war. Der Geruch entstand, weil Bakterien die Schuppen zersetzten, und ließ sich je nach Witterung ein bis zwei Tage verfolgen. Sogar in bevölkerten Fußgängerzonen, auf Flughäfen oder wenn die Zielperson ein Fahrrad benutzt hatte.
Ehrlinspiel lauschte auf den Klingelton, während er weiterging, leuchtete Gestrüpp und Grasbüschel ab. Ein Vogel stob schreiend aus einem Baum auf.
Da hörte er es. Dumpf. Irgendwo vor sich. Die
Pink-Panther
-Melodie. Ein paar Takte, dann brach sie ab. An seinem Ohr sprang die Mailbox an: »Hanna Brock ist auf Tour oder findet ihr Telefon nicht. Nach dem Signalton –«
Er wählte erneut, ging weiter, jetzt schneller. Die Melodie wurde lauter, und da erfasste der Lichtkegel, halb verborgen unter Gras, die rosafarbene iPhone-Schale. Rasch bückte er sich, wollte die Grasbüschel zur Seite schieben, als eine Stimme scharf sagte: »Nicht anfassen, Moritz!«
Er hielt inne, leuchtete nach oben. »Freitag?«
Freitag hielt ihm Latexhandschuhe und einen Asservatenbeutel hin.
Ehrlinspiel nahm sie reflexartig. »Nein, ich fasse es nicht an, ich … Was, zum Teufel, machst du hier?« Jetzt erst begannen seine Beine zu zittern.
»Ich bin dein Freund.«
»Und Lilian und die Mädchen? Der Urlaub? Woher weißt du überhaupt …«
»Josianne. Sie hat mich auf der A 5 erwischt. Wollte wissen, ob Hanna mir oder Lilian gegenüber nächtliche Ausflugspläne erwähnt hat.«
Er starrte auf das iPhone. Sah es in Hannas schmaler Hand liegen, hörte ihre Stimme, die wie ein glucksender Bach klang, wenn sie lachte, und er sah ihren runden Rücken, den sie ihm in einer der letzten Nächte auffordernd zugedreht hatte, als sie merkte, dass er wach lag.
Er dachte an all die Opfer, die er schon gesehen hatte. Verstümmelt, missbraucht. Er war erleichtert, dass Freitag neben ihm stand – und froh, dass der in dem fahlen Licht sein Gesicht nicht genau sehen konnte.
»Hinwendungsorte von Miriam?« Freitag sprach völlig sachlich.
Der Kriminalhauptkommissar zog die Handschuhe an und hob das iPhone auf. Neulich hatte sie es ihm stolz vorgeführt, doch er hatte kaum auf die Bedienung geachtet. Er drückte auf die einzige Vertiefung in der Schale, das Display leuchtete auf – und er blickte in grüne Augen mit Lachfältchen unter zerzausten, sandfarbenen Haaren, sah einen schiefen, spöttischen Mund: sein eigenes Gesicht. Schnell entriegelte er das Telefon, atmete auf, dass kein Passwort gefordert war, und sprang zu den letztgewählten Nummern.
Kora
18
:
35
Uhr.
Der letzte angenommene Anruf war von ihm selbst, als er seine Verspätung angekündigt hatte. Es folgten vierzehn Anrufversuche von ihm. Im SMS -Speicher waren zwei ungelesene Nachrichten. Eine stammte von Kora:
Viel Spaß mit »deinem« Kommissar ;-) Schwebt auf Floccus-radiatus-Wolken, aber komm ja wieder nach Hause. Miss you, K.
Die zweite SMS war von einem Marcel Andermatt, offenbar ihr Auftraggeber aus der Schweiz, der sich nach dem Stand der Recherchen erkundigte und einen schönen Sonntag wünschte. »Schickt die Spurensucher her«, wies Ehrlinspiel Josianne an. Wann war endlich der Mantrailer da?
»Wo würde Miriam hingehen?«, überlegte Freitag laut.
»Dorthin, wo die Pseudo-Mutter ist. Oder in die Kirche«, sagte Ehrlinspiel. »Aber dort waren wir schon. Komplett dicht und verriegelt. Außen herum auch nichts.«
»Das Zelt?« Freitag zeigte auf ein riesiges, rundes Zelt, das im Morgengrau lag wie ein massiger Tierleib.
»Dort schlafen Kinder. Irgend so ein Kirchenzeug. ›Ein Wochenende unter Gottes Himmel‹. Der Pfarrer und seine Frau sind dabei. Ich bin mit Josianne vorhin reingegangen, Tobias Müller war sofort wach und kam mit uns heraus. Er sagt, er habe keine Ahnung, wo Miriam und Thea Roth stecken. Seine einzige Sorge war, dass die Kleinen nicht aufwachen.« Das Sprechen kostete Ehrlinspiel Mühe. »Hanna ist seit Stunden in der Gewalt dieser Irren. Sie hat sie sich
hier
gegriffen.« Wut erfüllte ihn, Fassungslosigkeit und eine Angst, die er zuletzt am Ufer des Baggersees gespürt hatte, als Peter dort gelegen und er vergeblich sein Herz massiert und ihn beatmet hatte.
»Josianne sagt, in den Aufzeichnungen steht, ›die Schlange sitzt in der Falle‹. Möglicherweise ist Hanna also gar nicht bei Miriam, sondern irgendwo eingesperrt.« Er schien zu überlegen. »Vielleicht weiß Miriam gar nicht, wo die falsche Mutter ist, und sucht nach ihr. Wir
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