Mein wirst du bleiben /
gut gelaufen in den letzten Wochen.
Lautlos ging er über den Asphalt. Alles war still. Nur ein paar Vögel kreischten sich die verdammte Seele aus dem zerbrechlichen Leib. Seine Hand schloss sich fest um das Lederetui. Drückte zu.
Glockengeläut setzte ein. Verfluchter Lärm!
Erst waren die Bullen überall herumgelaufen, und er hatte sich in den Gärten verstecken müssen wie ein gemeiner Verbrecher. Er!
Ausgerechnet!
Natürlich hätte er sich zeigen können. Er war ein Gast in dieser Stadt. Hatte nichts verbrochen. Nichts zu verbergen. Doch sicher war sicher gewesen. Komplikationen brauchte er nicht.
Plötzlich waren alle Bullen abgezogen, die Straßen leer. Sein Lid hatte unentwegt gezuckt. Was, wenn sie sie geschnappt hatten? Wenn Sonja längst im Knast saß und er sie nie wieder in die Finger bekommen würde? In seine schlanken, präzisen Finger, die jeden Schnitt mit Bedacht setzten?
Er ging schneller, das beschissene Geläute wurde lauter.
In ein paar Minuten wäre er in der Wohnung. Würde am Fenster stehen. Warten. Die Frauen konnten nicht spurlos verschwunden sein.
Als sie vor acht Monaten nicht von der Busreise zurückgekommen war, hatte er zuerst nichts unternommen. Doch dann hatte sie ihm gefehlt. Nein, nicht sie, seine Macht über sie. Dass er so war, erschreckte ihn schon lange nicht mehr. Im Gegenteil. Gelegentlich stimmte es ihn sogar euphorisch. Auch würde niemand je davon erfahren. Nach außen war er freundlich, kooperativ, der einfühlsame Chirurg, der die Seelen seiner Patienten kannte – in seinem Innern blieb er der Herr und Meister. Viele Menschen waren wie er. Aber er war perfekter.
Schließlich hatte er beim Reiseveranstalter angerufen. Sich nach der Route erkundigt, den Stationen. Als der Mann Freiburg angepriesen und gefragt hatte, ob er ihm ein Angebot schicken dürfe, hatte Paschek aufgelegt. Sonja war so naiv. Unternommen hatte er zunächst nichts.
Ein Mann mit Hund kam ihm entgegen. Eine blasse Silhouette im Dämmerlicht. Paschek nickte. Der Mann nickte, ging vorbei.
Dann war er zu der Konferenz gefahren. Daniel hatte von seinem Forschungssemester in Amerika gesprochen. Da wusste er genau, was zu tun war. Das Schicksal hatte ihm die Frau, die er in Freiburg kennengelernt hatte, wieder zugespielt. Das war das Geschenk seines Lebens gewesen. Samt Miriam. Miriams analytischer Verstand war das exakte Abbild seines Denkens. Er und sie hatten früher oder später aufeinandertreffen müssen. Das war ein Gesetz der Natur. Und seines präzisen Handwerks. Sie könnte so viel von ihm lernen. Er könnte es ihr zeigen. An ihrem eigenen Körper. Er, der Meister. Sie, die Assistentin.
Paschek bog in die Fehrenbachallee ein.
Da huschte wie aus dem Nichts Miriam aus einer Hofeinfahrt. Mit flatterndem Rock eilte sie vor ihm her. Sang ein Lied. Steuerte direkt auf die Kirche zu.
Fast hätte er gelacht. Miriam hatte sich versteckt. Genau wie er. Doch sie war allein. Da wusste er es: Sie würde ihn zu ihr führen.
Er ging hinter Miriam her, im Schutz der Hecken und Bäume, die die Straße säumten. Die Kirchenglocken läuteten ohrenbetäubend. Sie mussten sie magisch anziehen.
Vor der Kirche blieb sie abrupt stehen. Starrte den hässlichen Beton an und die schwere Tür und all die Leute, die hineinströmten. Kinder, Erwachsene.
Gottesdienst? Um diese Zeit? Paschek verharrte hinter einem schwarzen Wagen am Straßenrand.
Miriam faltete die Hände. Als ob beten helfen würde!
Als alle drinnen waren, ging auch sie hinein. Er hastete zur Tür, glitt hindurch, bevor sie sich scheppernd schloss.
Innen war es fast dunkel. Kopf an Kopf saßen sie in den Bankreihen. Die linke Front war aus bunten Fenstern zusammengesetzt, durch die aber kaum Licht drang. Vorn am Altar brannten Kerzen, in ihrem Schein stand ein Mann. Wahrscheinlich der Pfarrer, obwohl er keinen Talar trug, dafür eine Art Nachthemd. Lächerlich, dachte Paschek.
Vor ihm, im Gang, wie auf dem Weg zu ihrer Vermählung, ging Miriam nach vorn. Auf Höhe der vordersten Bankreihe blieb sie stehen, dröhnend setzte die Orgel über ihm ein. Miriam sank auf die Knie. Ihr Rücken krümmte sich in diesem faszinierenden Bogen. Ihre Wirbel schienen ihm zum Greifen nahe. Ein Tuscheln mischte sich unter die Musik, dann begannen alle zu singen.
Paschek sondierte die Lage. Im Halbdunkel konnte er niemanden erkennen. Doch er durfte nicht auffallen. Ein paar Reihen weiter vorn war am Rand ein Platz frei. Er quetschte sich neben ein kleines
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