Mein wirst du bleiben /
schwarzen Freischwinger vor sich hin und sah zu Judith Maiwald, der jungen Wirtschaftskriminalistin. Sie steckte in einem roten, enganliegenden Top, trug einen dazu passenden Lippenstift, und ihr Haar war zu einem festen Knoten geschlungen.
»Sie sind dran«, sagte Maiwald zu Franz, und Ehrlinspiels Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. Dass die Männer Judith anstarrten, war nicht ungewöhnlich: eleganter Schwung der Wimpern, heller Flaum über den Augenbrauen, schimmernde Haut, winzige Narbe neben dem linken Auge. Déjà-vu, dachte der Kriminalhauptkommissar und erinnerte sich an seine erste Begegnung mit der kühlen Blondine. Die lag drei Jahre zurück. Er war nicht der Einzige, den sie seither hatte abblitzen lassen.
Unter Schnaufen berichtete Stefan Franz. Mehr, als er am Dienstag am Leichenfundort erzählt hatte, wusste er auch jetzt nicht zu sagen: Die Hausmeisterin hatte aufgrund des Gebells den Notruf gewählt, der beim Führungs- und Lagezentrum, kurz FLZ , eingegangen war. Dieses hatte den örtlichen Polizeiposten verständigt. Franz – ein notorischer Frühaufsteher, der gern vor den offiziellen Bürozeiten am Schreibtisch saß und hoffte, dann von Arbeit verschont zu bleiben – war fünf vor sieben am Morgen mit Britta Zenker in die Wohnung des Toten gegangen und von Gestank und Rolling-Stones-Liedern begrüßt worden. Der alarmierte Hausarzt, Jakob Wittke, hatte seine Praxis fast nebenan und war sofort da gewesen. Wegen eines Notfalls war er nach fünfzehn Minuten gegangen. Vorschriftsmäßig hatte nun Franz das FLZ angerufen, weil der Hausarzt keinen natürlichen Tod hatte attestieren können. Dieses hatte die drei Kollegen vom KDD kontaktiert, also sind »meine ehemaligen Hauskollegen, die Herren Kriminalhauptkommissare Felber und Ehrlinspiel«, zu dem Toten gekommen. Britta Zenker sei eine freundliche Frau, erklärte der Polizeihauptmeister, etwas zu schrumpelig vielleicht. Sie habe ihm aber sogleich Kaffee angeboten, und so war er mit ihr in die gemütliche Wohnung gegangen, sobald Lukas Felber mit dem Kombi der Kriminaltechnik vor dem Haus gehalten habe. Hätte ja sein können, dass sie etwas Wichtiges beobachtet hatte.
Ehrlinspiel verdrehte die Augen. Zu schrumpelig! Die Frau war vermutlich nur wenige Jahre älter als der 52-jährige Franz.
»Und?«, fragte Jagusch. »
Hat
sie etwas beobachtet?«
»Dass Gärtner aufgeräumt hat. Anscheinend hat er sonst eher weniger ordentlich gelebt. Und in den letzten Wochen hat er mehr mit dem Hund gesprochen als sonst.«
»Woher wusste sie das denn?«
»Keine Ahnung.«
»Aha.« Jaguschs Stirnfalte wurde tiefer. »Moritz, Freitag, ihr sprecht nachher mit ihr, bitte.«
Freitag sah hoch und nickte.
»Kinder?«
»Wie gesagt« – Ehrlinspiel blätterte in seinen Notizen –, »Gärtner lebte sehr zurückgezogen. Keine Familie. Keine Kinder.«
»Zumindest keine eingetragenen«, warf Judith Maiwald ein, und alle Köpfe drehten sich zu ihr.
Ehrlinspiel fragte sich, ob sie einschlägige Erfahrungen hinter sich hatte oder ob ihre Bemerkung eher allgemeiner Natur war. Sie war eine brillante Ermittlerin, doch nur wenig war über sie bekannt. Achtundzwanzig Jahre alt, Studienaufenthalt bei der Kantonspolizei Zürich, wo sie für ihre analytischen Fähigkeiten und das Verständnis für komplexes Bankenwesen ausgezeichnet worden war, Spezialisierung auf Wirtschaftskriminalität in mehreren hochqualifizierten Lehrgängen. Maiwald redete nur das Nötigste und dann nur Fachliches, stimmte sich selten mit anderen ab und war nie in der Stadt anzutreffen. Böse Zungen behaupteten, sie halte zu Hause einen wehrlosen Goldfisch, dem sie abends ihre bis zu zwanzigtausend Wörter ins Aquarium blubberte, die den Frauen als Tagesgequassel noch immer nachgesagt wurden. Dabei galt es längst als erwiesen, dass Männer kaum schweigsamer waren und beide Geschlechter rund sechzehntausend Wörter von sich gaben – auch wenn sie nichts zu sagen hatten. Judith Maiwald würde zu Larsson passen, dachte der Kriminalhauptkommissar. Zwei schöne Menschen, kluge Einzelgänger und umgeben von der Aura kühler Distanz. Hatte er die beiden schon einmal zusammen erlebt? Er konnte sich nicht erinnern.
»Sonst noch Erkenntnisse, Frau Maiwald?«, fragte Jagusch mit ironischem Unterton und öffnete zischend eine der Apfelsaftschorleflaschen, die neben einer Obstschale und einem Teller Kekse auf dem Tisch gruppiert waren. Der einstige Schokoladenüberzug der Kekse klebte dickflüssig
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