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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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erleuchteten Fenster in dem gelben Haus gesehen hatte, war sein Herzschlag ruhiger geworden.
    Er hatte sich sofort wieder unter Kontrolle gehabt.
    Jetzt brachte er seinen Oberkörper ein Stück nach vorn. Drückte das Auge fest an das Okular. Wartete. Hoffte, in dem Zimmer jemanden zu entdecken. Sie ließ nicht lange auf sich warten. Trat ans Fenster, hob den Arm. Für eine Sekunde dachte er, sie wolle ihm winken, und zuckte erschrocken zurück. Doch sie zog nur den Vorhang zu. Er hätte schwören können, dass sie herübergesehen hatte. Er versuchte, hinter dem Vorhang eine Silhouette zu erkennen, eine Bewegung. Doch der runde Ausschnitt, sein Gesichtsfeld, blieb nichts als ein vergrößertes Fasergebilde; ein Wirrwarr weißer Würmer, riesig groß in seinem Auge, brannte sich in seine Netzhaut.
    Dann ging das Licht aus.
    Er löste seine Hände vom Teleskop und trat einen Schritt zurück. »Schlaf süß, solange du es noch kannst«, flüsterte er in den leeren Raum, und sein Augenlid zuckte so stark, dass es an der Augenbraue zerrte. Er nahm eine Packung filterlose Zigaretten aus dem Regal, schüttelte sie und zog mit den Lippen eine heraus. Als das silberne Feuerzeug klickte, die Flamme nur eine Handbreit vor seinem Gesicht aufleuchtete, kurz und hell, und als mit dem Aufflammen der Glut der Rauch tief in seine Lungen drang, hörte sein Lid auf zu zucken.
    Irgendwo schlug eine Kirchturmuhr zwölf Mal. Wenige Minuten später erloschen die Straßenlampen. Er stellte sich dicht vor das Fenster, inhalierte den Rauch und hielt ihn lange in den Lungen.
    Die Wäscheleine vor dem Nachbarhaus konnte er nicht mehr erkennen, auch der schäbige Sandkasten, der hinter der löchrigen Thujahecke lag und den außer ein paar Hunden und Katzen keiner mehr benutzte, weil außer dem Baby keine Kinder in dem Haus lebten, war in Finsternis gehüllt. Und in Stille.
    Tagsüber war viel los hier. Patienten, die in die Arztpraxis kamen, wegen dämlicher Insektenstiche, Warzen oder einer Diarrhö, die sie dann in allen Details ausmalten. Die Beschreibung menschlicher Wehwehchen erfüllte ihn manchmal mit Abscheu. Häufig mit Gereiztheit. Meistens aber mit Desinteresse. Es waren oft Fremde, die unten vor der Praxis parkten. Er glaubte, die Frau von der Kreuzung von dort zu kennen. Die meisten Patienten lebten in der unmittelbaren Umgebung – oder hinter diesen Fenstern gegenüber. Dort, wo er ein unerwartetes Geschenk vorgefunden hatte.
    Er kannte alle Namen, die an den Klingelschildern standen, jeden Schriftzug, mit dem die Leute die handgeschriebenen Schildchen versehen hatten. Auch den, der nun bald verschwinden würde. Es war eine steile Schrift, ein wenig kindlich beinahe und schon verblasst, die einem neuen Namen Platz machen würde, so ganz anders als das kleine, enge
Zenker
und das kräftige
Thea und Miriam Roth
mit dem rund geschwungenen Initial. Ein Werk der Tochter. Da war er sicher.
    Natürlich war es ein Risiko, sie hier als Putzhilfe zu beschäftigen. Doch Sauberkeit war eine essenzielle Lebensbedingung für ihn. Er hasste Schmutz. Und er genoss die Erregung, wenn sie da war. Dieses leichte Pulsieren erst im Hals, dann hinter den Rippen, bis es langsam in den Magen zog und sich später in seinen Leisten festsetzte, während sein Gehirn völlig rational arbeitete und sich die Frage stellte: Würde es gelingen oder nicht.
    Vorsichtig stippte er die Asche in den liegenden Porzellanfrauenkörper, den er auf dem Sims plaziert hatte und zwischen dessen Brüsten und Scham eine Handvoll Zigarettenkippen den Geruch kalter Asche verströmte. »Ein Sammlerstück«, hatte sein Kollege ihm erklärt, als sie vor einigen Wochen hier gestanden hatten, beide einen Cognacschwenker in der Hand, scherzend und in Gespräche über ihre Studienzeit versunken. »Pass gut darauf auf. Es ist und bleibt
mein
Aschenbecher, alter Schwerenöter.«
    O ja. Er würde aufpassen. Und er wusste ganz genau, wem was gehörte!
    Er drückte die Zigarette aus und streckte sich. Dann packte er das Teleskop in den Wandschrank zurück, neben den Laptop, der all die Schätze der letzten Tage barg. Diese Fotos, die er sich immer und immer wieder angesehen hatte. Leben. Krankheit. Tod. Unverhoffte Ansichten. Überraschungen.
    Er grinste vor sich hin.
    Wissen. Macht.
    Nein, er war nicht nur schnell ans Ziel gekommen. Er hatte auch Bedingungen vorgefunden, von denen er nie zu träumen gewagt hätte. In aller Ruhe würde er weitermachen. Sich das holen, was ihm

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