Mein wirst du bleiben /
stolzierte er auf die Terrasse hinaus und rekelte sich zwischen Blumenkübeln auf den italienischen Terrakottafliesen.
Als Moritz Ehrlinspiel vor dreieinhalb Jahren eine größere Wohnung gesucht hatte, hatte er sich sofort in das alte Haus im Stadtteil Wiehre verliebt. Es sollte saniert werden, die vier Wohnungen anschließend teuer verkauft. Schon damals hatte er das Gebäude so vor sich gesehen, wie es ihn heute jeden Tag willkommen hieß: mit weißer Fassade und Jugendstilverzierungen, blühenden Sträuchern im Vorgarten, bunten Fensterchen im Treppenhaus und knarzenden Holzstufen, die zu seiner Loftwohnung im ehemaligen Speicher führten. Neunzig Quadratmeter, Sichtgebälk, Galerie im Giebel, Dachterrasse. Das alles hatte exakt in seinen Lebensplan gepasst – nur die Finanzierung nicht. Als lediger Kriminalhauptkommissar ohne Kinder, aus der Kirche ausgetreten, verdiente er damals rund zweieinhalbtausend Euro netto im Monat. Und das auch erst seit kurzer Zeit. Kein Gehalt für eine Luxuswohnung. Doch Finnja, seine verrückt-liebenswerte Zwillingsschwester, packte die Sache im wahrsten Sinne des Wortes an: Ehrlinspiel nahm einen Kredit auf und kaufte das Dachgeschoss noch vor der Sanierung. Während professionelle Handwerker die drei Nachbarwohnungen ausbauten, arbeitete Finnja gemeinsam mit einigen von Ehrlinspiels Kollegen jeden Abend und jedes Wochenende: Sie legten Estrich, fliesten, verlegten Rohre und elektrische Leitungen, tapezierten. Sein Vater, Schreiner, hatte ihm Bücherregale und den herrlichen Esstisch samt Stühlen gezimmert. Als er nach einem Dreivierteljahr in sein neues Domizil einzog, war Finnja schon wieder auf einer ihrer wochenlangen Radtouren unterwegs. Mutterseelenallein.
Wo sie jetzt wohl gerade steckte? Südfrankreich? Am Schwarzen Meer? Nordkap?
Aus dem Eckschrank nahm Ehrlinspiel zwei Futternäpfe, und für einen Moment waren seine Gedanken wieder bei dem Toten, dessen altem Hund Jagger und der Armut, die in jedem Winkel der kleinen Wohnung gehaust hatte. Er dachte an das Lkw-Unglück, die Schreckensbilder und Schuldgefühle, die Martin Gärtner, vielleicht bis zu seinem Tod, verfolgt hatten. An die kleine Charlotte Schweiger und ihre Eltern. An seinen toten Jugendfreund Peter und dessen Mutter Lorena Stein, die Oberstaatsanwältin. Kinder und ihre verwaisten Eltern. Diese Eltern lebten heute dort, wo sie sich wohl fühlten. Und soweit er es beurteilen konnte, hatten sie ein gutes Leben – trotz allem, was sie durchgemacht hatten.
Und er selbst? Würde er in diesem Loft alt werden, allein, höchstens mit einem Haustier? So wie Martin Gärtner? Er schluckte trocken. Rasch füllte er das Kaninchenragout in die Schüsseln, öffnete zwei Kapseln Lachsöl und rührte je eine unter die Portionen.
Bentley stürzte sich auf sein Mahl. Bugatti verblieb im Streik auf der Fensterbank. Leise murmelnd strich Ehrlinspiel ihm über das beige, samtene Fell, kraulte ihn hinter den dunkleren, schokoladenbraunen Ohren. »Bitte, der Herr, es ist angerichtet.« Das Tier rührte sich nicht. »Zu Tisch, Eminenz.«
Die Katzenbrüder waren so unterschiedlich wie der Hauptkommissar und seine Zwillingsschwester Finnja – die sich in nichts außer ihren selbstproduzierten Beziehungskatastrophen ähnelten. Doch während Finnja sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt und mit dem Rad durch die Welt gondelte, schätzte Ehrlinspiel, wie auch seine beiden weiteren Geschwister, ein geordnetes Leben und einen festen Job. Seine Radtouren beschränkten sich auf die Wochenenden und den Schwarzwald. Dann fuhr er mit dem Kamerarucksack los, strampelte durch die rauhen Wälder und Berge, stieg manchmal ab und lief einige Kilometer. Dabei sortierte er seine Gedanken. Fotografieren gab ihm Kraft und Ruhe, und – so sagte er sich selbst gern – es hielt die kreative Seite in ihm wach.
Heute, am Sonntag, war er mit dem Mountainbike über Günterstal nach Horben gefahren, wo er die ersten zehn Jahre seiner Kindheit verbracht hatte und wo seine jüngere Schwester Leah jetzt wieder lebte. Er besuchte sie und ihre Familie trotz der räumlichen Nähe nur selten, denn als Krankenschwester hatte Leah oft Wochenenddienst. Heute aber war sie zu Hause, und ihm war nach Landschaft, Luft und fröhlichen Gesichtern zumute gewesen. Das Spiel mit seinen zwei kleinen Neffen hatte dann auch alle frustrierenden Gedanken über die stockenden Ermittlungen verbannt. Für Stunden tobte er mit Simon und Philipp im Planschbecken,
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