Mein wirst du bleiben /
gewesen war, weil sich in den Atemwegen des toten Körpers Schleim, Wasser und Luft befunden hatten.
Ruf Lorena zurück!, sagte er sich. Entschuldige dich. Frag diese große, starke und immer elegante Frau, wer dich diffamiert hat. Nein, sag ihr auf den Kopf zu, dass es Stefan Franz war. Weil Meike Jagusch ihn auf mein Bitten hin aus der Soko genommen hat. Sag es ihr – auch wenn ihre tiefe Menschlichkeit dann vielleicht in eisige Härte umschlug. Wie so oft, wenn jemand ihre Entscheidungen nicht akzeptierte.
Der Hauptkommissar nahm das Telefon in die Hand und straffte die Schultern. In dem Moment klingelte es, und vor Schreck hätte er es beinahe fallen lassen. Der Gang nach Canossa war ihm erspart geblieben. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte nicht … Aber das war jetzt schon ein Schlag ins Gesicht.«
»Tut mir auch leid. Verletzende Hiebe sind normalerweise nicht meine Art«, erklang es am anderen Ende.
Verdutzt riss er das Mobilteil vom Ohr und starrte auf die Nummernanzeige. Tatsächlich! Sein Herz machte einen Sprung. Vorwahl 040. Hamburg! Vor lauter Wut hatte er blind auf die Sprechtaste gedrückt – mit keinem anderen Anruf gerechnet als einem erneuten von Lorena Stein. Erst recht nicht mit diesem.
»Das glaube ich nicht«, sagte er und trat vor die offene Terrassentür.
»Hab ich Sie jemals verprügelt?«
Er lachte. »Sie sind es wirklich! Hanna Brock. Unverkennbar.« Schlagfertig, forsch und mit einer perlenden Stimme.
»Störe ich?«
»Nein, überhaupt nicht«, antwortete er und dachte: im Gegenteil. Ihr Anruf ist das Beste, was mir nach den letzten Tagen passieren kann. »Ich sitze sowieso gerade gemütlich auf dem Sofa.«
Sie lachte, und sofort sah er ihr ovales Gesicht mit den hohen Wangenknochen, den wachen, schwarzen Augen und dem dunklen Haar vor sich. »Das hat sich aber eben ganz anders angehört«, sagte sie.
»Bagatellen.«
Hanna Brocks Stimme wurde ernst. »Wie geht es Ihnen?«
»Prima.« Ein später Vogel flatterte in einer Baumkrone auf und ab, und es roch intensiv nach honigähnlichen Blüten. »Und Ihnen?«
Ihr Abschied lag acht Monate zurück, doch die Erinnerung an die Hamburger Redakteurin war so präsent wie der kalte Novembertag, an dem er ihr flüchtig über die Wange gestrichen hatte und durch den Schnee davongefahren war. Weder zu Weihnachten noch zum neuen Jahr hatten sie einander geschrieben, so wie er es damals gehofft hatte. Irgendwann war er zu der Überzeugung gelangt, dass sie in die Arme ihres Ex-Freundes und in ihr altes Leben zurückgekehrt war. Dass sie füreinander nur eine Ablenkung bedeutet hatten, er nicht mehr gewesen war als ein Lichtblick in der Düsternis des Schwarzwälder Morddorfes. Dort hatte sie für einen Wanderführer recherchiert und er ermittelt. Er hatte sie in die lange Reihe der Beinahe-Affären eingereiht – wie so viele Frauen vor ihr.
Natürlich hatte er auch wirkliche Beziehungen gehabt. Doch die waren nach wenigen Monaten, spätestens zwei, drei Jahren, stets gescheitert. Bevor er Hanna Brock kennengelernt hatte, hatte er geglaubt, er sei kein Mann für eine feste Partnerschaft. Im Nachhinein betrachtet, waren es stets Kleinigkeiten gewesen, weswegen es zur Eskalation gekommen war. Das Zuviel an Krümeln in seiner Küche. Seine Vorliebe für schnelle Autos, die seine Partnerin nicht teilte. Die beste Freundin seiner Freundin, die ihm zu aufgetakelt war. Oder die Dinge, die zu wenig waren: das ausgebliebene Kompliment für die neuen Ohrringe, der vergessene Geburtstagsstrauß, der versäumte Einkauf für den gemeinsamen Abend. In seinem Herzen dagegen hatte er Hunderte anderer, gewichtiger Erklärungen für sein Scheitern zur Hand gehabt: mangelnde Sensibilität. Fehlende Zeit. Den männlichen Drang nach Freiheit.
Nachdem er dann der zwei Jahre älteren Hanna Brock anvertraut hatte, dass er sich die Schuld am Tod eines Freundes gab, dachte er, dass es seine Feigheit war, sich der Vergangenheit zu stellen. Seine Angst davor, vollends aus dem Kokon der vermeintlichen Schuld zu schlüpfen und die Flügel der inneren Freiheit neu auszubreiten. Doch auch das stimmte nicht. War er doch zu eigensinnig? Zu arrogant, was verständlicherweise keine Frau auf Dauer aushielt?
»Verkraften Sie eine Überraschung?«, gab Hanna Brock zur Antwort, und er brauchte ein paar Sekunden, bis er den Anschluss an seine letzte Frage, nämlich wie es ihr gehe, wieder fand.
»Wenn es eine angenehme ist.« Er lehnte sich in den
Weitere Kostenlose Bücher