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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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hatte seine Kleider im Waschbecken des Bads gewaschen. Hilde Wimmers Wäsche war seit einiger Zeit in Roths Maschine gelandet. Wenn Miriam wüsste, dass sie, die kranke Mutter, auch das noch erledigte …
    Thea stopfte das Laken in die Maschine.
    Noch immer konnte sie nicht begreifen, wie sie in diese Siedlung gekommen war. Wie ihr nach dem jahrelangen schwarzen Nichts, diesem Schmerz, ausgerechnet hier im wahrsten Wortsinne so vieles ganz neu bewusst geworden war. Wie sie gehofft hatte, endlich Sicherheit zu bekommen. Ohne Tragödien zu leben.
    Nein, dachte sie, Miriam darf nichts merken. Sie schaltete die Waschmaschine ein und beobachtete, wie das Wasser in die Trommel lief, weißer Schaum den Stoff umspielte. Nichts von den Flecken auf ihrer Seele. Von ihren Träumen. Ihrer Lüge. Nichts davon, wie fremd sie in ihrem eigenen Leben war.
    Manchmal fühlte sie sich wie eine Statistin, die in eine Groteske geraten war, von der sie weder Anfang noch Schluss kannte. Kostüme. Satinkleider. Der dunkelrote Fummel in ihrem Schrank mit dem Plastikschutz darüber … Verschlossen. Von einem Schicksal, das eine ungewisse Regie führte. Dabei wollte sie doch – wie jeder Mensch – viel lieber der Star im eigenen Leben sein.
    Sie ging zurück in die Wohnung. Vor dem Flügel im Wohnzimmer, das gleichzeitig Miriams Schlafraum war, blieb sie stehen. Sie sollte das Instrument, das zwei Drittel des Raumes einnahm, kennen. Es lieben. Aber es blieb ihr fremd.
    Nachdenklich hob sie den Deckel.
Fazioli
stand in goldenen Lettern auf dem fein gemaserten Nussbaumholz. »Das ist
dein
Flügel«, hatte Miriam ihr nach Weihnachten erklärt. Thea hatte auf das Monster gestarrt. Nichts gespürt. »Es stammt aus Salice in Oberitalien.« Die Tochter hatte über die polierte Oberfläche gestrichen. »Alles Handarbeit. Die Resonanzböden sind aus Südtiroler Fichtenholz! Schon Stradivari hat aus derselben Gegend sein Material bezogen.« Miriam hatte sie geradezu angefleht zu verstehen: »Mama, du hast damals monatelang nach so einem Flügel gesucht! Ich habe ihn all die Jahre gepflegt, stimmen lassen, ihn beim Umzug hierher mitgebracht. Es gibt kein klanggewaltigeres Instrument. Keines mit präziserer Mechanik. Das bist
du!
Dieser Flügel war … er ist dein Leben!«
    »Ich kenne ihn nicht.« Thea hatte nicht gewusst, ob sie sich selbst oder Miriam mehr bedauern sollte. Tragik, ja, das hatte die Situation beschrieben.
    Sie spielte unbeholfen und mit einem Finger
Nun aufwärts froh den Blick gewandt.
Ein anderes Lied konnte sie nicht. Aber in der Kirche, in die sie Miriam jeden Sonntag begleitete, sangen sie es oft, und Pfarrer Müller sah immer zu ihnen herüber, als habe er es nur für sie ausgesucht. Thea mochte das Lied. Es machte ihr Mut, und auch Müller schenkte ihr Vertrauen in die Zukunft. War sie eigentlich jemals gläubig gewesen?
    Miriam sagte, sie sei gleichgültig geworden gegenüber der Musik, und Thea ahnte, wie weh ihr das tun musste. Doch wie sollte sie eine Kunst beherrschen, die im Drehbuch ihres neuen Lebens fehlte? Sie blätterte in einem Notenbuch. Schwarze Linien, Punkte, Bögen, ein paar winzige Zahlen. Ein Durcheinander von Zeichen auf weißem Papier. Es sagte ihr nichts.
    Vor ein paar Tagen hatte Miriam ihr wieder die Fotoalben gezeigt. Bilder ihres »Davor«. Villa. Pool. Riesiger Garten mit vielen Blumen, Teich mit Entenpaar. Thea am Klavier, mit dunklem Haar. Der Ehemann mit dem freundlichen Lachen und den lustigen, verzwirbelten Augenbrauen. Miriams Vater. »Wo ist er jetzt?«, hatte Thea Roth Miriam gefragt. »Papa ist tot«, hatte sie tonlos geantwortet. »Du hast seine Augen.« »Ja.« Miriam hatte weitergeblättert. »Woran ist er gestorben? Und wann?« – »Vor einundzwanzig Jahren. An Herzlosigkeit. Wir haben ihn begraben«, hatte Miriams Antwort gelautet, und Thea hatte nicht weiter gefragt.
    Von der Kraft der Musik hatte Miriam dann gesprochen. Thea hatte es nicht hören wollen. Nichts von Erfüllung. Nichts von Hass. Sie hatte geglaubt, sich die Ohren zuhalten zu müssen wie in ihrem Alptraum. Plötzlich war sie sich sicher gewesen, all das nicht zu meistern, weder die Gegenwart zu ertragen noch die Zukunft und erst recht nicht die Vergangenheit, die sich ihr da plötzlich zeigte.
Ich schaffe es nicht!
    Sie war aufgestanden. Überwältigt von der Sehnsucht, einfach auszubrechen. Aus der Beengtheit der Wohnung, dem fremden Leben, der eigenen Seele. Sie hätte schreien mögen. Nach Glück. Nach Frieden.

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