Mein wirst du bleiben /
später humpelte sie an Theas Seite und auf ihr Gehwägelchen gestützt zum Gewürzregal im
Frischeparadies.
Thea legte Senfkörner, Koriander und Kurkuma in den Einkaufswagen.
»Helfen Sie dem Pfarrer beim Sommerfest?«, fragte Hilde Wimmer, als sie an einem Tisch mit Girlanden, Lampions und Gartenfackeln vorbeikamen.
»Ja.« Thea erzählte das der 87-Jährigen fast jeden Tag. Beim nächsten Treffen fragte sie erneut. Im Grunde nicht schlecht: So gab es stets ein Thema, bei dem Thea mitreden konnte. Sie schmunzelte in sich hinein. Das Sommerfest würde das erste Fest werden seit dem Tag, der sie aus dem alten Leben geschleudert hatte. Musik aus verschiedenen Ländern, Tanz, der Duft nach Kaffee, Waffeln und Bratwurst, überall Luftballons, lachende Kinder … Leben pur.
»Als Kind habe ich den Sommer und das Feiern geliebt. Es war das reinste Abenteuer.« Hilde Wimmer schlurfte weiter.
»Sie müssen unbedingt kommen, Frau Wimmer. Man ist nie zu alt für Abenteuer.«
Vor dem Regal mit den Süßigkeiten blieb die alte Frau stehen, und Thea konnte ihr ansehen, dass sie Schmerzen in den geschwollenen Beinen hatte. »Und zuschauen, wie sich die Jugendlichen betrinken und die Zenker überall ihre schnüffelnde Nase reinsteckt?« Wimmer schüttelte den Kopf und holte rasselnd Luft. »Dafür bin ich zu alt. Das muss ich mir nicht mehr antun. Früher, da war das anders. Früher, da –«
»Wenn Sie sich’s noch anders überlegen: Ich bin da. Das wissen Sie.« Bloß kein Lamento über die Vergangenheit. Sie nicht zur goldenen Zeit stilisieren. Früher, als alles besser war … Thea versteifte sich jedes Mal, wenn Hilde Wimmer dieser Satz über die Lippen kam.
Ein Glänzen erschien in den alten, wässrigen Augen, und Frau Wimmer griff in das Regal. »Das da« – sie hielt eine Tüte Lakritzstangen in die Höhe – »ist meine Kindheit.« Als sei sie berauscht, warf sie
Bahlsen
-Kekse mit Schokoladenüberzug,
Ahoi!-
Brause und rote Lutscher in den Einkaufswagen. »Das macht glücklich!«
Thea prustete verhalten los, angesteckt von der plötzlichen Lebensfreude ihrer Begleiterin, und noch ehe sie sich darüber wundern konnte, stolperten sie wie kichernde Schulmädchen durch den Gang – und standen plötzlich vor Miriam.
»Hallo, Schatz«, lachte Thea und wischte sich eine Träne aus den Augen.
Miriam, gebückt, offenbar um das Grün von Karotten und welke Salatblätter zu beseitigen, blickte wortlos zwischen Thea und Frau Wimmer hin und her.
Sofort wurde Thea Roth ernst. Ihre Tochter schuftete hier für ihrer beider Lebensunterhalt, und sie gab direkt daneben eine alberne Komödie. Wie gedankenlos sie bloß war! »Entschuldige, Kind. Ich wollte dich nicht –«
»Was machst du hier?« Miriams Stimme klang anklagend.
»Ich … Wir kaufen ein Stück Kindheit. Ein Stück Glück.« Sie deutete auf die Süßigkeiten und versuchte, den Kloß wegzuschlucken. Dieses klebrige Ding in ihrer Kehle, das aus Schuldgefühlen bestand und aus Enttäuschung darüber, dass Miriam nicht wenigstens ein bisschen wohlwollend auf ihr Erscheinen reagiert und ihr nach all den Tagen nicht einmal ein schwaches Lächeln geschenkt hatte. Etwas, das ihr das Gefühl gegeben hätte, nicht pausenlos Fehler zu begehen, sondern in ihrem Tun bestätigt zu werden. Doch Miriam stand nur da in ihrem Arbeitskittel, in der Linken einen grünen Müllsack und in der Rechten einen Handfeger.
»Kindheit kann man nicht kaufen. Süßes Leben und Glück auch nicht.« Miriams Blick durchbohrte sie. »Illusionen!«
»Ach, Kind.« Thea schüttelte den Kopf, und in Gedanken legte sie die Zutaten für das Curry wieder in die Regale zurück. Sie würde Miriam heute nicht erreichen. »Es ist doch nur Schokolade. Einfache, dumme Schokolade. Bedeutungslos.«
Miriam schwieg.
Sie sieht so traurig aus, dachte Thea. Die Dämonen ihrer Kindheit?
»Sie ist bitter. Bitter wie das Leben«, murmelte Miriam und zurrte den Müllsack zu.
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14
Freitag, 6. August, Abend
D er Applaus klang wie ein Feuerwerk des Triumphes in ihren Ohren. Sie hatte es geschafft! Hanna blickte von der kleinen Bühne in den Zuschauerraum, wo keiner der gedrechselten Stühle leer geblieben war. Das Parkett glänzte, die Panoramafenster waren weit geöffnet und gaben den Blick auf einen Park mit kleinen Statuen frei.
Aus der ersten Reihe lächelte ihr ihr Auftraggeber entgegen. Der – so musste sie gestehen – charmanteste Verlagschef, den sie je kennengelernt hatte. Und das lag
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