Mein wundervolles Genom
mehr von dem Stresshormon Cortisol produzierten als Kinder nicht depressiver Mütter. Die Forscher konnten sogar sagen, dass der epigenetische Effekt gleich war, egal ob die Mütter mit Antidepressiva behandelt worden waren oder nicht.
Die Epigenetik hat sich als einer der hoffnungsvollsten Bereiche der Genforschung im 21. Jahrhundert herauskristallisiert, vor allem deshalb, weil sie einige lang ersehnte Antworten auf die Frage zu liefern verspricht, wie unsere Umgebung auf unsere Gene einwirkt. Aber die Hoffnung hat noch einen anderen Grund: Die epigenetischen Veränderungen sind im Prinzip reversibel – man kann etwas tun. Das ist ein eklatanter Gegensatz zu den Mutationen, von denen wir so oft hören und die unveränderlich sind.
Kann die Epigenetik den Anbruch einer besseren Welt verheißen? Ist es möglich, dass wir mit Medikamenten eingreifen und Gene wieder anschalten oder umgekehrt Gene bremsen können, deren Aktivität außer Kontrolle geraten ist?
»Wir hatten ein paar technische Probleme, aber jetzt läuft der Test wieder, und Ihre Ergebnisse sind aus dem Labor gekommen. Wenn Sie sie wissen möchten, rufen Sie mich an.«
Diese lakonische E-Mail hat mir Birgitte Søgaard geschickt, die Leiterin der Abteilung Translationale Medizin in Lundbeck. Ihre Abteilung soll Forschungsergebnisse in etwas übertragen, was man außerhalb der abgeschotteten Laborumgebung einsetzen kann, an realen Patienten. Ich hatte bis dahin noch keinen Kontakt zu Søgaard – ich habe nur meine Blutprobe bei einer Laborantin abgeliefert, die sie an das Forschungsteam in New Jersey geschickt hat –, aber ich rufe sofort an. Natürlich interessiert es mich.
»Hallo«, zwitschert Søgaard. Sie klingt, als wäre sie ganz besonders guter Laune. Ohne weiteres Drumherum informiert sie mich, beinahe zu fröhlich, dass ich mit meinen Testergebnissen auf jeden Fall in die Gruppe der depressiven Studienteilnehmer gehöre.
»Wie?« Ich bin ein bisschen verwirrt. Ich fühlte mich nicht depressiv, als ich mir Blut abnehmen ließ, und ich fühle mich auch jetzt nicht depressiv. Das verheißt nichts Gutes für ihren Test, denke ich.
»Sie haben keine Symptome?«
Die übliche Unzufriedenheit und gelegentliche Frustration über meine Lebenssituation, aber nichts Anormales.
»Okay. Ich möchte betonen, dass dieser Test sich in einer frühen Entwicklungsphase befindet und dass Ihre Ergebnisse kein Irrtum sein müssen. Ganz und gar nicht. Aber vielleicht sollten Sie herkommen und sich genauere Erklärungen anhören.«
Ich willige sofort ein, aber leider kann ich nicht mit Søgaard selbst sprechen, weil sie auf dem Sprung nach New Jersey ist. Nach einigem Hin und Her stellt sich ihre Kollegin Jennifer Larsen, eine Biologin, die auch mit diesem Testprojekt befasst ist, für den Nachmittag zur Verfügung. Ich muss nur hinfahren.
Ein paar Stunden später überschreite ich die Schwelle zu einem besonderen Bereich der Pharmaindustrie. Das hier ist Forschung der Business-Klasse: keine Spur vom ewigen Kampf um Geld und gegen Kürzungen, der die akademischen Flure durchweht und die Universitäten mit der sprichwörtlichen Atmosphäre der Angst erfüllt. Hier gibt es reichlich Platz und Geld.
Durch die gelben Gebäude in Valby gelangen wir in ein gigantisches gläsernes Foyer, das sich zu einem weiteren Saal von den Dimensionen einer Bahnhofshalle öffnet. Das Foyer ist leer bis auf zwei Frauen am Empfang, die in einer Art abgeschirmtem Laufstall sitzen und darin wie zwei vergessene Playmobilfiguren wirken. Bewaffnet mit meinem Besucherausweis, gehe ich durch die Empfangshalle zu ein paar luxuriösen Sesseln in der Ecke, die als Wartebereich gekennzeichnet ist. Der Flachbildschirm einer Hightech-Anlage von Bang & Olufsen liefert die Nachrichten des Tages. Die Böden sind mit dunklen Schieferplatten belegt, hie und da stehen mannshohe Vasen als Dekoration und vermitteln ein Gefühl von Sicherheit. Selbst die Granitskulptur eines menschlichen Gehirns wirkt nicht penetrant, sondern ästhetisch elegant – und teuer.
»Können wir Englisch sprechen?«, höre ich hinter mir.
Jennifer Larsen ist Kanadierin, sie lebt zwar schon fünf Jahre hier und spricht gut Dänisch, aber sie hört ihre grammatikalischen Fehler nicht gern. Ich frage sie nicht, wie sie über meinen Umgang mit ihrer Muttersprache denkt. Stattdessen komme ich direkt auf meine Verwirrung nach Lundbecks berühmtem Test zu sprechen und bitte um eine Erklärung. Warum behauptet meine
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