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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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ist angebrochen«, verkündete Time feierlich ein paar Tage vor meinem Besuch bei der Ärztin. Oder wie die Biologin Denise Barlow von der österreichischen Akademie der Wissenschaften lyrisch formulierte: »In der Epigenetik geht es um die seltsamen und wundervollen Dinge, die sich durch die Genetik nicht erklären lassen.«
    Solche Formulierungen sind verständlich, denn wahrscheinlich wird die Epigenetik der Ort sein, an dem die beinahe mystische Begegnung zwischen genetischem Erbe und Umwelt stattfindet. Bisher hat man eine genetische Prädisposition identifiziert und sich dann vorgestellt, wie die Umwelt dazukommt, ein Wechselspiel stattfindet, das zu einem bestimmten Ergebnis führt: dem Phänotyp. Aber worin besteht das Wechselspiel, und wann und wo genau findet es statt? Da werden die Dinge schon komplizierter.
    Epi – die elegante griechische Vorsilbe verweist darauf, dass wir es mit etwas »über« oder »jenseits« der Genetik zu tun haben. Das Konzept hat 1942 der britische Biologe Conrad Waddington erfunden, um zu beschreiben, wie die Erfahrungen und Lebensumstände eines Organismus möglicherweise sein genetisches Material veranlassen, sich anders zu verhalten. Damals, vor der Entschlüsselung des genetischen Codes, gab es dazu nur Ideen und Theorien. Heute bezeichnet der Begriff Epigenetik die Forschung zur Expression von Genen: das heißt, wie viel oder wie wenig Protein sie produzieren dürfen, wann und in welchen Zellen. Solche Veränderungen in der Funktion von Genen treten ohne Mutationen in der Gensequenz auf.
    Bis vor noch nicht langer Zeit glaubten die meisten Wissenschaftler, Epigenetik sei für Erwachsene nicht relevant, das Phänomen beschränke sich im Wesentlichen auf Embryos; ihr Genom werde auf eine bestimmte Weise programmiert, die dann für den Rest des Lebens Gültigkeit habe. Schließlich ist das Ziel der Entwicklung von einer einzelnen Zelle zu einem kompletten Organismus, dass, praktisch gesprochen, alle Zelltypen dasselbe Genom haben, auch wenn jede Zelle einen unterschiedlich großen Anteil davon nutzt. Je nachdem, welche Gene aktiviert werden dürfen, erhält jede Zelle ihre Identität und die dazugehörige Funktion; beides wird dadurch definiert, welche Proteine die Gene der Zelle produzieren. Es ist ein bisschen wie in einem Orchester: Alle Musiker haben die gleiche Partitur vor sich, aber die Violinen, die Pauke und die Triangel spielen jeweils ihren eigenen Part.
    Nehmen wir eine Leberzelle und eine Gehirnzelle. Die Leber baut mit einer Batterie von Enzymen all die Giftstoffe ab, die wir beim Essen und Trinken zu uns nehmen und die aus dem Blut entfernt werden müssen. Es gibt keinen Grund, warum die bulligen Leberzellen das gesamte Spektrum der komplizierten Rezeptoren produzieren sollten, die die Kommunikation zwischen den raffinierteren Zellen des Nervensystems regeln. Deshalb sind die für solche Rezeptoren zuständigen Gene in der Leber inaktiv. Die Gehirnzellen unter der Schädeldecke haben wiederum nichts mit der Müllabfuhr zu tun, deshalb sind ihre Gene, die für die Produktion von Enzymen zum Abbau von Alkohol oder Fett sorgen, dauerhaft stillgelegt.
    Das epigenetische Programm des Körpers regelt diese Arbeitsteilung, indem es bestimmte Gene an- und abschaltet. Das geschieht im Wesentlichen dadurch, dass ein einzelnes Gen, das erforderlich ist, um DNA in Boten-RNA für die Produktion von Protein umzuwandeln, für den gesamten Apparat der Zelle erreichbar oder unerreichbar gemacht wird. Ein effizienter Weg, ein Gen unerreichbar zu machen, besteht darin, ein molekulares Hindernis zu platzieren. In der Praxis passiert das, indem zusätzliche chemische Verbindungen – Methylgruppen – an ausgewählte Basen in dem DNA-Strang angehängt werden, was die Transkription der relevanten Gene verhindert. Aber die Erreichbarkeit hat auch damit zu tun, wie das DNA-Molekül verpackt ist. Die sechsundvierzig Chromosomen des menschlichen Genoms liegen nicht entspannt ausgebreitet in der Zelle (wenn es so wäre, wären sie zwei Meter lang), sondern schlingen sich dicht um Proteine herum, die ein bisschen an Lockenwickler erinnern. Diese Proteine – sie heißen Histone – können chemisch so verändert werden, dass sie mehr oder weniger eng sind und der DNA-Strang damit mehr oder weniger zugänglich ist.
    Es hat sich gezeigt, dass es etliche spezialisierte Enzyme gibt, die derartige Veränderungen entweder an der DNA oder an den Histonen bewirken, und genauso viele, deren Job

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