Mein wundervolles Genom
sagt Larsen und weist jede persönliche Verantwortung von sich, »aber ich weiß, dass es mit Literaturstudien angefangen hat.«
Spezialisten in der amerikanischen Forschungsabteilung des Unternehmens haben ihre Lesebrillen aufgesetzt und ein halbes Jahr lang alle Studien durchforstet, die einen Zusammenhang zwischen Depression und einem Gen postulieren. Dann reduzierten sie die Auswahl auf neunundzwanzig Gene, die sie für vielversprechend hielten. Interessanterweise sind es keine Gene, die etwas mit der Signalübertragung im Gehirn zu tun haben. Die Rezeptoren und Transportproteine, von denen wir normalerweise hören, glänzen durch Abwesenheit auf dieser Liste.
»Es ist ein Sammelsurium«, räumt Larsen ein. »Es sind Gene dabei, die die Aktivität in den Zellkernen regulieren, und etliche Gene, die am Funktionieren des Immunsystems beteiligt sind. Aber mehr kann ich nicht sagen, weil wir noch kein fertiges Produkt haben.«
Immerhin so viel kann sie sagen: Bei ihren ersten Experimenten haben sie die Aktivität dieser neunundzwanzig Gene in Blutproben von mehreren Hundert sorgfältig ausgewählten Personen gemessen, die an klinischen Tests in Dänemark, den USA und Serbien teilgenommen hatten. Die Männer und Frauen gehörten entweder zu gesunden Kontrollgruppen oder hatten die Diagnose einer nicht behandelten Depression, die mindestens drei Monate gedauert hatte. Schließlich bezogen sie auch einige Patienten mit den Diagnosen Borderline-Persönlichkeitsstörung und posttraumatische Belastungsstörung in ihre Untersuchungen mit ein. Warum? Borderline-Patienten haben grundlegende Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu kontrollieren, und zeigen deshalb eine Reihe von Symptomen, die auch bei einer Depression vorkommen. Posttraumatischer Stress hingegen ist vollkommen anders als die beiden anderen Störungen und konnte deshalb als Kontrolle dienen, ob das, was die Forscher eventuell im Blut finden würden, nur eine Standardreaktion darstellte, ein Signal des Immunsystems, das etwas Unspezifisches nicht in Ordnung ist.
Die Aktivität eines Gens – oder Genexpression – wird ermittelt, indem man misst, wie viel RNA von dem entsprechenden Gen transkribiert wird. Die Messergebnisse werden in einen Computer eingegeben, der dann verschiedene Algorithmen darüberlaufen lässt, die charakteristische, statistisch aussagefähige Muster identifizieren. Sämtliche Arbeiten werden von Apparaten verrichtet.
»An dem Punkt hätte das ganze Projekt zu Ende sein können«, sagt Larsen mit bebender Stimme. »Es hätte passieren können, dass wir vor einem absoluten Chaos stehen mit Hinweisen in alle Richtungen. Stellen Sie sich das nur mal vor.«
Aber es gibt Muster, die die einzelnen Gruppen tatsächlich unterscheiden: die Gesunden, die Borderline-Patienten, die Traumatisierten und die Depressiven. Bei den drei Krankheiten sind bestimmte Gene mehr oder weniger aktiv als in der Kontrollgruppe, und man kann auch zwischen den einzelnen Krankheiten unterscheiden. Bei Depressiven zeigt beispielsweise eine spezielle Gruppe der neunundzwanzig Gene verminderte Aktivität. Weitere Analysen identifizierten Untergruppen bei den depressiven Patienten: Innerhalb dieser Untergruppen war die Genexpression ähnlicher, als wenn man diese Patienten mit anderen Personen verglich. Doch es ist nicht ganz klar, ob es sich dabei um Biomarker handelt, bei denen eine Behandlung ansetzen könnte, oder einfach um interessante Muster – eher Deskription als Diagnose.
»Wir wissen noch nicht einmal, was der Test leisten wird«, meint Larsen. »Möglicherweise ist das, was wir sehen, eine akute Reaktion aufdie Krankheit selbst, und man kann Patienten damit identifizieren. Aber zunächst schauen wir, ob die Genaktivität sich normalisiert, wenn die Patienten behandelt werden. Derzeit läuft ein großer Test, bei dem wir die neunundzwanzig Gene im Blut der Patienten vor, während und nach der Behandlung mit zwei verschiedenen Antidepressiva untersuchen. Aber das dauert. Wir sprechen hier von Tausenden von Blutproben.«
Unterdessen forschen sie an einer anderen Möglichkeit: dass die Muster im Blut nicht nur akute Reaktionen darstellen, sondern Ausdruck epigenetischer Veränderungen sind. Und da scheint mein Testergebnis gut hineinzupassen: Ich bin nicht depressiv, aber ich war es.
»Es ist eindeutig möglich, dass wir eine epigenetische Veränderung erfasst haben, die vor langer Zeit passiert ist und immer noch besteht. Vielleicht ist das Muster selbst
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