Mein wundervolles Genom
daher, dass es unabhängig davon, wo wir epigenetische Veränderungen finden werden, möglich sein wird, darauf Einfluss zu nehmen, verstehen Sie?«, fügt er in freundlicherem Ton hinzu.
Er hat recht. Man muss nur zuerst die biochemischen Vorgänge aufklären. In den Zellen gibt es eine ganze Palette unterschiedlicher Enzyme, die Gene deaktivieren können, indem sie Methylgruppen anhängen, oder die den Zugang zu DNA-Strängen öffnen oder verschließen können, indem sie die Histone manipulieren. Und all diese hübschen Enzyme können im Prinzip durch sorgfältig ausgewählte chemische Wirkstoffe reguliert werden.
Szyf hat diesen Mechanismus in Aktion demonstriert an einer Gruppe armer Rattenbabys, die der Aufzucht durch unaufmerksame Mütter überlassen blieben. Als erwachsene Tiere waren diese Ratten wegenihrer starken Stressreaktionen sehr nervös, aber das ließ sich durch eine ordentliche Dosis des Wirkstoffs Trichostatin A oder TSA, direkt ins Gehirn injiziert, korrigieren. Die Injektionen löschten die epigenetische Signatur, die die Ratten in ihren ersten Lebenswochen erhalten hatten. Die beeinträchtigten Tiere entspannten sich und zeigten künftig vollkommen normale Reaktionen auf Stress.
»Wir haben bereits eine ganze Reihe anerkannter Medikamente, die bei epigenetischen Veränderungen wirken.« Szyf erwähnt Valproat, das wie TSA ein Histon-Deacetylase-Inhibitor ist (das heißt, es hemmt Enzyme, die Histone verändern) und zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird. »Es laufen auch klinische Tests mit ähnlichen Medikamenten für die Behandlung von Psychosen. Und weil jetzt hoffentlich endlich Geld in diese Forschungen fließt, werden in den nächsten Jahren sicher noch viele weitere Medikamente dazukommen.«
Aber wie stellt er sich die Behandlung von Patienten in der Praxis vor? Man kann schließlich nicht misshandelten Kindern Injektionen ins Gehirn geben. Epigenetik bedeutet, dass chemische Veränderungen erfolgen, die nur ein bestimmtes Gewebe betreffen: zum Beispiel Blutkörperchen oder das Gehirn. Würde ein Medikament auf die epigenetischen Muster in allen Zellen des Organismus wirken, könnte man damit womöglich vollkommen gesunde Genaktivitäten stören und unerwünschte Nebenwirkungen erzeugen. Es dürfte nicht einfach sein, genau die richtigen Zellen zu treffen.
»Niemand hat gesagt, dass es einfach sein würde«, entgegnet Szyf ein bisschen beleidigt. »Wir müssen herausfinden, welche Enzyme für die verschiedenen Gewebe besonders wichtig sind, und dann Medikamente entwickeln, die sich genau auf diese Enzyme richten.«
Aber braucht man notwendigerweise Chemie? Könnte man sich nicht einen natürlicheren Weg einfach durch Verhaltensänderungen vorstellen? Wenn eine schlechte Kindheit und die Art, wie andere Menschen uns behandeln, Einfluss auf unser Genom haben, können wir es dann nicht auch in der umgekehrten Richtung beeinflussen? Ich denke wieder an das dicke Fell über einer sensiblen Psyche.
»Sie haben wahrscheinlich recht«, räumt Szyf ein und klingt erstaunlich herzlich. »Ich glaube sogar, dass verhaltensbezogene und psychologische Interventionen letztlich den Medikamenten überlegen sein werden, weil sie direkt bei den biologischen Mechanismen ansetzen, mit denen wir uns bereits beschäftigen. Ich bin kein Verhaltenswissenschaftler, deshalb dürfen Sie mich nicht nach konkreten Beispielen fragen.«
Okay, ich frage nicht.
»Aber der Weg dafür ist bereitet. Wenn wir die epigenetischen Signaturen und Marker kennen – bei misshandelten Kindern zum Beispiel –, können wir Verhaltenstherapien, Gesprächstherapien oder was auch immer entwickeln und untersuchen, ob sie wirken. Feststellen, ob sie die betreffenden Marker entfernen oder nicht. Heute wenden Psychologen alle möglichen Therapien an, ohne zu wissen, was sie eigentlich mit den Menschen machen, aber wir können die Therapien genauso testen, wie wir mit klinischen Studien Medikamente testen. Wir können Therapien entwerfen, die für die betreffenden Probleme maßgeschneidert sind.«
Trotzdem ist es noch nicht Zeit, sich von der »alten« Genetik zu verabschieden. Schließlich wissen wir, dass bestimmte Genvarianten eine Wirkung haben, physisch und psychisch. Sollten die Wissenschaftler sich nicht um Genetik und Epigenetik gemeinsam kümmern und herausfinden, wie sie interagieren? Ich erlaube mir, einen weiteren bekannten Epigenetiker zu erwähnen, Andrew Feinberg von der Johns Hopkins University. Er hat den
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