Mein wundervolles Genom
Gedanken ins Gespräch gebracht, dass wir möglicherweise Genvarianten haben, die bestimmte epigenetische Veränderungen erschweren oder erleichtern.
»Natürlich«, bestätigt Szyf und seufzt erneut vernehmlich. »Ich weiß von aktuellen Forschungen, bei denen es um psychische Erkrankungen bei eineiigen Zwillingen geht; dabei werden ihre jeweiligen Genvarianten und epigenetischen Muster verglichen. Aber Sie müssen verstehen, dass das noch ein ganz junges Gebiet ist. Wir stehen am Anfang von etwas sehr Großem und wissen noch nicht, wie groß es ist.«
Zunächst einmal, werfe ich ein, ist die große Sache die Entdeckung, wie unglaublich wandlungsfähig das Genom ist. Das erinnert mich an eine oft zitierte Äußerung von James Watson, der 1989 mit seiner üblichen Selbstgewissheit gegenüber Time sagte: »Wir dachten immer, unser Schicksal stehe in den Sternen. Jetzt wissen wir, dass unser Schicksal zu einem großen Teil in unseren Genen steht.« 6 Zwanzig Jahre später klingt das wie eine törichte, hoffnungslose Vereinfachung. Mittlerweile wissen wir, dass die Gene kein Schicksal in dem Sinn sind, dass unsere DNA bestimmt, wie unser Leben verläuft.
»Natürlich liegt unser Schicksal teilweise in unseren Genen, weil sie das Fundament abgeben für das, was passieren kann«, sagt Szyf. »Aber mindestens genauso viel Schicksal liegt in der Art unseres Austauschs mit anderen. Dadurch, wie wir mit der Welt um uns herum interagieren, haben wir einen erheblichen Einfluss darauf, wie die Gene, die wir geerbt haben, tatsächlich wirken. Wie erheblich der Einfluss ist, muss die künftige Forschung zeigen.«
Szyf hat mehrere Termine in seinem Kalender, ich spüre beinahe die Leute, die Schlange stehen und warten, dass unser Telefongespräch endlich beendet ist.
»Das, woran wir jetzt arbeiten – es hängt natürlich davon ab, wie viel Geld wir bekommen –, wird die Art und Weise, wie wir über unser biologisches Erbe denken, erschüttern. Wir entfernen uns von der Vorstellung, dass die Grundlage unseres Lebens etwas Statisches ist, und nähern uns der Sichtweise, dass sie etwas Dynamisches, Formbares ist. Diese Erkenntnis wird in die Kultur vordringen, und dabei wird es interessant sein zu sehen, wie sie unsere Einstellung zu und unseren Umgang mit genetischen Informationen in der Zukunft verändert. Darüber sollte man sich Gedanken machen.«
8 Die Suche nach dem neuen biologischen Menschen
Den »besonderen Menschen« findet man nicht in einem Reagenzglas – es ist ein Prozess... Die gegenwärtigen Erkenntnisse der Wissenschaft können uns nur bis hierher bringen – der Rest liegt bei Ihnen.
ScientificMatch.com
In der Schublade mit meiner Unterwäsche liegt eine weiße Baumwollunterhose, die ich nie getragen habe und auch nie tragen werde. Nicht, weil sie für meinen Geschmack etwas zu groß ist, sondern weil vorne und hinten eine leicht verwaschene Buchstabenfolge aufgedruckt ist: A, G, C, T. Die Schrift ist schwer zu entziffern und sieht ein bisschen wie der Abdruck einer nassen Zeitung aus.
Es ist ein Kunstwerk. Ich habe die Unterhose von Joe Davis bekommen, der in einem Büro des Massachusetts Institute of Technology Kunstinstallationen ersinnt, bei denen biologische Materialien wie Petrischalen mit genetisch veränderten Bakterien ins Spiel kommen. Davis hat die Unterhose eigenhändig zu Hause in seiner Küche bedruckt, die Sequenz stammt von einem seiner eigenen Gene – nicht irgendein Gen, sondern eines der sogenannten humanen Leukozytenantigene oder HLA auf Chromosom 6. Es gibt eine ganze Gruppe von HLA-Genen, die für ein Protein auf der Oberfläche weißer Blutkörperchen codieren, das entscheidenden Anteil an der Stimulierung von Immunreaktionen bei Infektionen hat.
»Sie müssen das als Kommentar zur Zukunft und dem gesamten Genprojekt verstehen«, sagte Davis, als er mir eine Unterhose in Größe Müberreichte. Aber warum eine Unterhose, und warum eine HLA-Sequenz?
Das Kunstprojekt ist ein Nachhall eines berühmten Experiments aus dem Jahr 1995, das zeigte, dass Frauen sich je nach ihren HLA-Genen vom Körpergeruch bestimmter Männer angezogen fühlten. 1 Durchgeführt wurde das Experiment von einem jungen Doktoranden namens Claus Wedekind, der sich als Zoologe gut in der Tierwelt auskannte. Ihm war aufgefallen, dass viele Spezies – auch Mäuse – Partner mit bestimmten genetischen Merkmalen auswählen: Sie erschnuppern sich ihren Weg zu den MHC-Genen (der Oberbegriff für HLA-Gene und die
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