Mein wundervolles Genom
Blasenkrebs beeinflusst. 1 Jeder fünfte Mensch europäischer Abstammung hat die Base T an dieser Stelle und damit ein um 50 Prozent höheres Risiko, irgendwann im Leben Blasenkrebs zu bekommen, als die mit einer anderen Base – A, G oder C – an dieser Stelle.
Wenn Sie wollen, können Sie entsprechende Untersuchungen für andere Krankheiten und ihre Marker studieren. Und Sie können sich über die technischen Details informieren, die der Berechnung des Risikos zugrunde liegen. Ich gehe auf die Seite mit den langen Gleichungen, merke aber, dass ich gerade keine Lust darauf habe – ich möchte mir mein genetisches Horoskop näher ansehen, mein digitales Selbst.
Wo soll ich anfangen? Ich beschließe, es offensiv anzugehen, ziehe mit der Maus ein bisschen unsicher über eine Reihe von Krebserkrankungen und klicke schließlich auf chronische lymphatische Leukämie. Im Text werden nüchtern die Symptome aufgezählt: extreme Erschöpfung, Kopfschmerzen, Blutungen und geschwächte Immunreaktionen. Schließlich heißt es, dass nur 0,5 Prozent der Bevölkerung davon betroffen sind und die Krankheit typischerweise nach dem siebzigsten Lebensjahr ausbricht. Bevor ich mein persönliches Risiko erfahre, muss ich bestätigen, dass ich es verstehe und einwillige. Will ich die Ergebnisse wirklich sehen, und verstehe ich, was sie bedeuten?
So sieht die moderne Version von informierter Zustimmung aus: ein paar kurze Sätze auf einem Bildschirm und zwei Buttons zum Anklicken. Natürlich ist kein Arzt oder Forscher in der Nähe, der mir erklären könnte, was ich möglicherweise nicht verstehe, also was soll ich machen? Wie kann ich mich daran hindern, einfach auf die Buttons zu klicken, ohne weiter darüber nachzudenken? Es ist ein bisschen wie das Kleingedruckte in Versicherungspolicen: Man hat einfach keine Lust, es zu lesen. Aber ich verstehe ein Risiko, wenn es als Prozentzahl ausgedrückt wird, also klicke ich auf »Akzeptieren«.
Und es fängt gut an! Mein Risiko, im Lauf meines Lebens chronische lymphatische Leukämie zu bekommen, liegt nur bei 0,2 Prozent, zwei von tausend. Das ist beinahe 40 Prozent weniger als das durchschnittliche Risiko für weiße Europäerinnen. Es kommt mir vor, als hätte ich mit einem Rubbellos etwas gewonnen.
Ich schaue mir andere Krankheitsbilder an und stoße auf intrakranielles Aneurysma – das Schreckensbild, dass ohne Vorwarnung ein größeres Blutgefäß im Gehirn platzt und man für den Rest des Lebens im Wachkoma dahindämmert. Wieder ein Treffer! Nur ein Risiko von 3 Prozent, halb so groß wie der Durchschnitt.
Jetzt bin ich mit der Rubrik Blut durch und gehe zu AMD, altersbedingter Makuladegeneration, einem fortschreitenden Zerfall der Netzhaut, die häufigste Ursache für verminderte Sehschärfe und Erblindung bei älteren Menschen. Sie haben vier genetische Varianten in fünf Regionen der Chromosome 1, 6, 10 und 19 gefunden, die eine Rolle für das Risiko spielen. Mir fällt eine Bekannte zu Hause in Kopenhagen ein, eine ältere Frau, die eine begeisterte Leserin war und ihr Leben lang als literarische Übersetzerin gearbeitet hat; jetzt ist sie beinahe blind, angewiesen auf Hörbücher und die Hilfe anderer Menschen, um in der Welt zurechtzukommen. Ich zögere. Aber dann klicke ich doch, und wieder liege ich weit unter dem durchschnittlichen Risiko: mickrige 2 Prozent gegenüber durchschnittlich 8 Prozent. Ich proste mir in dem Spiegel zu, der über dem Schreibtisch hängt, und beschließe, dass ich mir die schlimmsten Sachen anschaue, solange ich so guter Stimmung bin.
Alzheimer. Die häufigste Form von Demenz, heißt es auf der Seite. Hier muss ich unwillkürlich an James Watson denken und seine Angst,Träger der Genvariante ApoE4 zu sein, die ein erheblich erhöhtes Risiko bedeutet. Aber es ist geradezu fantastisch: Nicht eine einzige ApoE4-Variante in Sicht, stattdessen habe ich zwei Kopien von ApoE3, was ein geringes Risiko bedeutet. Das Risiko, im Lauf meines Lebens Alzheimer zu bekommen, liegt bei 7 Prozent, während das durchschnittliche Risiko 12 Prozent beträgt.
Mein Vater hatte recht, ich habe wirklich gute Gene! Und spontan fällt mir eine Freundin zu Hause ein, die mich dauernd drängt, meine Gene endlich weiterzugeben, bevor es zu spät ist. »Wenn du gesund und kräftig bist, gut ausgebildet und einigermaßen klug, ist es deine Pflicht gegenüber der Gesellschaft, Kinder zu bekommen, die den Durchschnitt heben.« Sie ist selbst gut ausgebildet, sehr klug und
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