Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
Vom Netzwerk:
die Hoffnung, dass Chemotherapie und Bestrahlung helfen könnten. Und sie halfen tatsächlich, meine Mutter war krankheitsfrei. Aber nur ein halbes Jahr lang. Dann waren Flecken auf den Röntgenbildern zu sehen. Zwar nur kleine Flecken... Daraus wurden über drei Jahre voller Hoffnung, Untersuchungen, Enttäuschungen, neuen Behandlungen, Angst, Depression und schließlich auch Schmerzen. In manchen Nächten schrie und wimmerte sie, weil die durch die Knochenmetastasen verursachten Schmerzen selbst mit Morphium kaum zu lindern waren.
    Man könnte es als eine Art Aberglauben ansehen, dass ich mich vor jeder richtigen Untersuchung drücke. Ich taste nicht selbst nach Knoten, und wenn jemand meint, ich solle regelmäßig zur Mammografie gehen, murmele ich etwas Ausweichendes wie »bei so kleinen Brüsten funktioniert es nicht«.
    Doch jetzt sitze ich vor einem Bildschirm, der sagt, dass er mir mein Risiko anhand von sieben getesteten Genvarianten auf den Chromosomen 2, 5, 8, 10, 11, 15 und 16 offenbaren kann. Für Frauen mit kaukasischer Abstammung liegt das durchschnittliche Brustkrebs-Risiko beirund 12 Prozent. Zwölf von hundert Frauen werden irgendwann in ihrem Leben erkranken – das ist einfach so. Aber je nach Kombination der sieben Genvarianten erhöht sich das Risiko auf 60 Prozent, sechs von zehn! Ich bin sicher, dass ich zu den sechs gehöre, und halte, nachdem ich geklickt habe, meine Augen noch lange geschlossen.
    Es ist unglaublich: Ich habe ein geringeres Risiko als der Durchschnitt – nicht einmal die üblichen 12 Prozent, sondern nur 7,7 Prozent! Eine wunderbare, absurde Sekunde lang fühlt es sich an, als wäre ich dem Tod entronnen.
    »Wow, Sie sehen aus, als könnten Sie einen starken Kaffee vertragen.«
    Um sieben Uhr am nächsten Morgen erwartet mich der PR-Chef von deCODEme, Edward Farmer, unten vor dem Hotel. In Island ist es nicht nur kalt, sondern auch dunkel, außerdem habe ich nicht gut geschlafen. Erst musste ich meine Erleichterung über mein unterdurchschnittliches Brustkrebs-Risiko mit zwei weiteren Bieren feiern, dann bin ich mein gesamtes Genprofil von oben bis unten durchgegangen. Von Vorhofflimmern und Glatzköpfigkeit bis zu Gicht und unruhigen Beinen – lauter erfreulich geringe Risiken. Nun, bei Glatzköpfigkeit war das von vornherein klar, aber ich habe mir auch die Freude darüber gegönnt.
    Trotzdem war meine Nacht unruhig. Ich grübelte darüber, wie hilfreich diese genetischen Risikoeinschätzungen wirklich sind, wenn es hart auf hart kommt. Hilfreich nicht nur für mich, sondern allgemein. Was kann man mit der Information anfangen, dass man ein etwas geringeres Risiko für Asthma hat als der Durchschnitt? Und was bedeutet es für das Leben im Alltag, wenn das Risiko für Nierensteine etwas höher ist? Was hätte ich gemacht, wenn mein Genprofil ein 60-prozentiges Risiko für Brustkrebs zutage gefördert hätte? Wie zuverlässig sind überhaupt diese molekularen Risikobewertungen?
    »Schnallen Sie sich an«, sagt Edward. »Ich bin sicher, Kári kann Ihnen all das erklären.«
    Mit Kári meint er Kári Stefánsson, den Gründer, Leiter und das öffentliche Gesicht von deCODEme. Ich hatte schon vor über zehn Jahren das Vergnügen einer Begegnung mit ihm, als deCODEme noch in denKinderschuhen steckte und weltweit heiße Diskussionen auslöste. Kári Stefánsson hatte eine wirklich gute Idee und wollte sie realisieren, indem er das Genom des isländischen Volks anzapfte. Er hatte die Vision einer gigantischen Datenbank, in der die medizinischen Unterlagen heute lebender Isländer gesammelt und mit ihren genetischen Informationen sowie mit genealogischen Aufzeichnungen, die Jahrhunderte zurückreichten, kombiniert werden sollten. Hier tat sich ein Weg auf, um den Genen auf die Spur zu kommen, die uns krank machen.
    Stefánsson kratzte von einer Gruppe Risikokapitalgeber, die an seine Idee glaubten, 12 Millionen Dollar zusammen, gab seine angenehme und angesehene Stellung als Professor für Neurologie und Neuropathologie an der Harvard University auf und kehrte in seine Heimat Island zurück, wo er sich daran machte, seine Vorstellungen durchs Parlament zu bringen. Es gab heftigen Widerstand von all jenen, die fanden, das Genom eines Volks dürfe nicht in die Hände eines Privatunternehmens gelangen. Die Empörung verbreitete sich weit über Island hinaus. Kári Stefánsson wurde so etwas wie ein umherziehender Preisboxer mit Worten. Die Medien konzentrierten sich auf seine

Weitere Kostenlose Bücher