Mein wundervolles Genom
Y-Chromosome hinter mir lassen und einen ganz anderen Test vornehmen lassen, den Test meines kompletten Genoms, der ein Netz über die drei Milliarden Basenpaare auswirft und einige der darin enthaltenen zahllosen kleinen Varianten einfängt. Diese Varianten zeigen, so sagen die Wissenschaftler, wie meine Aussichten hinsichtlich Gesundheit und Krankheit sind – sie ergeben nicht ein Bild meiner Vergangenheit, sondern meiner Zukunft.
3 Ich will meine Snips ehren, in Krankheit und Gesundheit
»Liebe Lone Frank,
wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass die Ergebnisse Ihres deCODEme-Gentests jetzt vorliegen. Bitte klicken Sie auf diesen Link.«
Es ist immer schön, eine so klare Botschaft zu bekommen, und ich tue, was man mir gesagt hat. Ein Klick mit der Maustaste, schon bin ich auf meiner persönlichen deCODEme-Seite, wo mir versichert wird, dass sie mein Genom auf über eine Million genetische Marker getestet haben. Hervorragend. Ein paar Gesundheitsrisiken haben sie auch gefunden, und auf dem Bildschirm erscheint:
Ihre Ergebnisse beinhalten 46 Krankheiten. Erfahren Sie Ihr Risiko und lesen Sie, wie Sie vorbeugen können.
Die Botschaft klingt ganz freundlich, trotzdem wird mein Mund ein wenig trocken. Drei Wochen zuvor, zu Hause auf der Couch, war es einfach ein Jux, den Briefumschlag mit den Anweisungen zu öffnen; und es war auch kein Aufwand, mit dem beiliegenden Stäbchen über die Innenseite meiner Wange zu fahren und eine kleine Schleimhautprobe zur Analyse zurück nach Reykjavik zu schicken. Aber jetzt, hier vor dem Computer, hat mein Wunsch, in die Zukunft zu blicken, doch abgenommen. Etwas abgenommen.
Tatsächlich gibt es so etwas wie ein makelloses Genom nicht. Wir sind alle Mutanten und tragen tickende Zeitbomben in uns. Ich weißdas theoretisch, aber solange ich keine genaue Vorstellung davon habe, wie die Mutationen konkret aussehen, erscheint mir alles beruhigend hypothetisch, irreal.
Zu allem Überfluss bin ich gerade allein und weit weg von zu Hause. Ich bin nach Reykjavik geflogen, um mit den Leuten bei deCODE Genetics zu sprechen, und sitze in einem Hotelzimmer. Obwohl wir Frühling haben und die Sonne scheint, ist alles von einer dünnen Schneeschicht überzogen, und die Temperaturen bleiben hartnäckig unter dem Gefrierpunkt. Die isländische Hauptstadt ist kahl und windig, sogar im Hotelzimmer friere ich.
Es ist später Nachmittag und schon dunkel draußen. Um Gesellschaft zu haben, habe ich mir eine große Dose Bier geholt. Ich schaue auf die Rubrik »Krankheiten«, die in verschiedene Kategorien je nach betroffenem Organ unterteilt ist: Blutkrankheiten, Probleme mit Gelenken und Muskeln, Verdauungsstörungen, Augen, Lunge und Kehle. Krebs, Gehirn, Nerven. Haare, Haut und Nägel kommen auch vor.
Es ist eine anspruchsvolle Mischung, als das Auge die Liste hinunterwandert: Glaukom, Sklerose, Nierenkrebs, Asthma, Gallensteine, Glatze (nur bei Männern), Diabetes I und II, unruhige Beine und Gicht.
Daran bleibe ich hängen. Gicht? Ist das auch genetisch bedingt? Ich dachte, Gicht bekommen alte Männer, nachdem sie ein Leben lang zu gut gegessen haben. Zu viel foie gras und Portwein, die sich als Harnsäure in den Gelenken der großen Zehe ablagern.
Es ist überraschend einfach, ein Genprofil zu erstellen. Der Großteil der Arbeit ist automatisiert und findet fast ohne menschliche Beteiligung im Inneren von Maschinen und Computern statt. Die winzige Menge DNA auf meinem Wattestäbchen wird in einer eigens dafür konstruierten Kopiermaschine weiter gezüchtet – einem Apparat, der eine sogenannte Polymerase-Kettenreaktion erzeugt, bei der spezialisierte Enzyme die DNA-Moleküle sorgfältig auseinanderziehen und vervielfältigen, mehrfach hintereinander. Das Ergebnis wird auf einen Genchip gegeben. Der Chip registriert dann insgesamt eine Million kleinePunktmutationen oder SNPs, die über meine Chromosomen verteilt sind.
Bei ganz wenigen dieser SNPs weiß man bereits, dass sie mit bestimmten Krankheiten verbunden sind, in dem Sinn, dass sie das Risiko, die betreffende Krankheit zu bekommen, erhöhen oder verringern. Nehmen wir zum Beispiel jemanden, der die ganz unromantisch klingende Variante rs9642880 hat, eine Veränderung auf Chromosom 8. Durch Vergleich der SNPs von fast zweitausend isländischen und holländischen Patienten mit Blasenkrebs und denen von vierunddreißigtausend gesunden »Kontrollpersonen« ist herausgefunden worden, dass rs9642880 anscheinend das Risiko für
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