Mein wundervolles Genom
die allermeisten wie ich europäischer Herkunft, gehören nur 385 zu H2a1. Und gerade einmal siebzehn davon haben die beiden wichtigen Mutationen 16354T und 16193T.
Nach all der Mühe habe ich praktisch nichts. Nicht ein Einziger hat die anderen Mutationen mit mir gemeinsam.
Ich fühle mich schmeichelhaft einzigartig und gleichzeitig unzufrieden, und ich verspüre den starken Drang, weiterzumachen. Die nächste Möglichkeit ist Mitosearch, eine öffentlich zugängliche Datenbank, die Datensätze der Personen enthält, deren mitochondriale DNA von Bennett Greenspan und dem Genografischen Projekt getestet wurde. Ich halte mich an Ugo Peregos Empfehlungen und suche nach meinen Mutationen. Tatsächlich finde ich zwei Übereinstimmungen, zwei Männer, einer aus der Ukraine und einer aus Finnland. Leider wurden sie auf weniger Marker getestet als ich, daher kann ich nicht feststellen, ob sie auch zu meinen anderen Mutationen passen. Es sieht so aus, als ende die Spur hier – aber noch nicht ganz.
Durch Zufall stoße ich auf ein DNA-Projekt mit Freiwilligen, das Danish Demes heißt. Es ist eines von vielen Beispielen von Hobbygenealogen, die etwas betreiben, was Forschung nahe kommt oder ihr zumindest dient: eine Gruppe, die versucht, Verwandtschaftsbeziehungenzwischen Dänen in Dänemark und in der ganzen Welt zu skizzieren. Bisher haben sie weniger als hundert Teilnehmer, aber ich sehe sofort, dass zwei zu Haplogruppe H2a1 gehören. Ihre Mutationen stimmen nicht ganz mit meinen überein, aber doch ziemlich, und so fühle ich mich ermutigt, an den anonymen Administrator des Projekts zu schreiben und um Zugang zu bitten.
»Sie sind herzlich willkommen«, lautet die Antwort, die, wie sich herausstellt, von einer älteren, schwerhörigen Dame aus Florida kommt. Diana Gale Matthiesen, Zoologin im Ruhestand, ist eine Veteranin der Ahnenforschung mit jahrzehntelanger Erfahrung und Hochachtung vor Gentests, »der besten Erfindung seit dem Internet«, wie sie sagt. Ihr geliebter verstorbener Vater war Däne, und nachdem sie den Stammbaum ihrer mütterlichen Familie bis zum Grund analysiert und viele entfernte und unbekannte Verwandte gefunden hat, wollte sie »näher an meine dänischen Wurzeln« kommen.
Aber mit ihrem Projekt hat sie auch Größeres im Sinn. Diana möchte eine spezielle Datenbank für dänische Haplogruppen aufbauen und einen Katalog der Mutationen erstellen, die bei den Individuen in jeder Gruppe auftreten. Ihr Endziel ist ein Projekt, das so etwas wie der Goldstandard für Menschen ist, die glauben, dass sie dänische Wurzeln haben, aber nicht genau wissen, mit wem sie sich vergleichen sollen.
Für einen Außenstehenden klingt es seltsam. Ich habe nie einen Gedanken auf die ferne Vergangenheit und auf unbekannte Vorfahren verwendet, und jetzt bin ich bereit, dem Cyberspace meine Mutationen zu überlassen. Vollgepumpt mit Kaffee und Süßigkeiten sitze ich in den frühen Morgenstunden vor dem Computer und suche nach fremden Leuten, die etwas so Abstraktes wie den chemischen Baustein Thymin an einer bestimmten Stelle des kreisförmigen Chromosoms ihrer Mitochondrien haben. Ich suche nach der Spur einer kleinen und vermutlich vollkommen bedeutungslosen Veränderung, die vor einigen Tausend Jahren bei einer einzigen Frau aufgetreten ist, einer namenlosen Urmutter, die sich nie wird identifizieren lassen, aber dieses versteckte Zeichen an eine unbekannte Zahl von Nachkommen weitergegeben hat.Ich frage mich, ob ich ein Gefühl von Verwandtschaft empfinden werde, wenn ich jemals andere in ihrem weit verzweigten Stammbaum finden sollte.
Jedenfalls hat mich die Faszination gepackt, und es regt sich so etwas wie Identifikation. Manchmal empfinde ich mich als Angehörige einer bestimmten Haplogruppe und Trägerin einer speziellen Mutation, und diese Gedanken vermitteln mir einen Eindruck davon, um was es bei der Genetik geht. Ich kann ruhig dasitzen mit einem intensiven Gefühl, dass wir alle vergängliche Gefäße für Informationen sind, die beinahe ewig leben und immer weitergegeben werden. Der Gedanke ist zugleich das Tor zum Gefühl einer breiten Verwandtschaft zwischen uns, der übrigen Menschheit und den anderen Lebewesen des Planeten.
Was ich bis jetzt über Genetik erfahren habe, ist auch ein Einfallstor für die Faszination durch die Information selbst. Ich möchte mehr über mein Genom wissen – mein digitales Ich – und beschließe, den nächsten logischen Schritt zu tun. Ich werde Mitochondrien und
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