Mein wundervolles Genom
können.«
Bevor ich antworten kann, führt Stefánsson einen weiteren Faktor an, der das Bild kompliziert macht. Offensichtlich ist es von Bedeutung, ob wir eine Genvariante von der einen oder von der anderen Seite der Familie erben, das heißt, ob das Gen von der Eizelle stammt oder von der Samenzelle, die den Wettlauf um die Befruchtung gewonnen hat. Forscher bei deCODEme stießen auf diesen mysteriösen Effekt, weil sie nicht nur Gendaten von fast vierzigtausend Isländern haben, sondern auch Informationen über ihre Verwandten. Und mit einer speziellen Form der Analyse sahen sie nun, wie Stefánsson es ausdrückt, »ein Beispiel nach dem anderen« dafür, dass Varianten unterschiedliche Effekte haben, je nachdem, von welchem Elternteil man sie bekommen hat. Zum Beispiel fand deCODEme heraus, dass eine bestimmte Genvariante das Risiko für Diabetes um 30 Prozent erhöht, wenn sie vom Vater kommt, aber um 10 Prozent verringert, wenn sie von der Mutter stammt. 3 Wegen der gegensätzlichen Effekte hatte bisher noch niemand diese Variante registriert, denn in den klassischen Studien hoben sich die Zahlen gegenseitig auf. In dem wissenschaftlichen Artikel , in dem die Forscher ihre Entdeckung veröffentlichten, stellten sie auch eine Genvariante vor, die das Risiko für Hautkrebs erhöht, aber nur, wenn sie vom Vater stammt. Entsprechendes gilt für eine Variante, die mit Brustkrebs in Verbindung gebracht wird.
Stefánsson kommt nun auf »missing heritability« zu sprechen, fehlende oder zu geringe Erblichkeit. »Die Varianten, die wir bisher gefunden haben, können einen großen Teil der Erblichkeit bestimmter Krankheiten nicht erklären.«
Ich versuche, nicht die Augen zu verdrehen. Ja, vielen Dank, es wird viel über die »schwarze Materie« des Genoms gesprochen.
»Sie wissen wahrscheinlich auch, dass viele glauben, unser Geschäft sei es, loszuziehen und möglichst viele seltene Varianten aufzuspüren«, fährt Stefánsson in einem Ton fort, der klarmacht, dass diese Vorstellung idiotisch ist.
Ich werfe ein, dass James Watson von seltenen Varianten spricht, werde aber ignoriert.
»Ich glaube, es wird sich herausstellen, dass ein erheblicher Teil von dem, was wir heute nicht erklären können, durch Effekte zu erklären sein wird, die damit zusammenhängen, von welchem Elternteil die gewöhnlichen Varianten kommen. Meines Erachtens wird sich herausstellen, dass unsere Modelle für Erblichkeit zu primitiv sind und verändert werden müssen.«
Damit berührt er einen interessanten Punkt. Lehrbücher müssen vielleicht neu geschrieben werden, und ganz neue Entdeckungen sind möglich. Aber was ist mit den Genprofilen – bedeutet das nicht, dass ganz gewöhnliche Menschen, die nicht in Island geboren wurden, keine präzise Risikoeinschätzung bekommen können? Weil sie nicht wissen, ob sie eine bestimmte Genvariante von der väterlichen oder mütterlichen Seite geerbt haben?
Leider streckt in dem Augenblick, als ich Luft hole, um diese Frage zu stellen, eine Sekretärin den Kopf herein und erinnert ihren Chef, dass er einen Termin hat. Er muss sich auf den Weg zu etwas unglaublich Wichtigem in Kalifornien machen, und das Flugzeug wartet nicht.
Um noch etwas Positives zu sagen, beeile ich mich, ihm zu versichern, dass ich mich über mein geringes Brustkrebsrisiko wirklich freue. Ich erzähle ihm, wie erleichtert ich bin, da meine Großmutter vor ihrem sechzigsten Geburtstag gestorben ist und meine Mutter mit gerade einmal sechsundvierzig Jahren. Doch an Stefánssons Gesichtsausdruck kann ich ablesen, dass ich mich zu früh gefreut habe.
»Die üblichen Varianten, die wir testen, haben im Allgemeinen nichts mit dem sogenannten familiären Brustkrebs zu tun. Mit Ihrer Familiengeschichte sollten Sie gezielt Ihre BRCA-Gene testen lassen.«
Der Satz erinnert mich an Dinge, die ich in eine ganz entlegene Ecke meines Gehirns verbannt habe. 2 bis 5 Prozent aller Frauen weisen Mutationen in den Genen BRCA1 und BRCA2 auf und haben dadurch ein extrem hohes Risiko für Brustkrebs, nach manchen Studien bis zu 80 Prozent.
Vielleicht sollte ich es einfach mit dem Genprofil bewenden lassen. »Und das Beste hoffen? Dazu kann ich nicht raten«, sagt Stefánsson.
Aber ich sehe nicht, was ein Test bringen sollte. Wenn ich BRCA-Mutationen habe, könnte ich nichts tun, als meine Zeit mit ständigen Mammografien und Ultraschalluntersuchungen zu verbringen und mein Leben mit dauernder Sorge zu vergiften.
»Das stimmt nicht«,
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