Mein wundervolles Genom
einer alten Wunde zu rühren. Stefánssons Start-up-Unternehmen war das Erste, das persönliche Genprofile vermarktete, aber seine Konkurrenz 23andMe in Silicon Valley ist viel bekannter und vermutlich auch kommerziell erfolgreicher. Also frage ich mit Unschuldsmiene, was Stefánsson davon hält, dass 23andMe so in den Vordergrund gerückt wurde, als Time das Genprofil zur »Erfindung des Jahres« kürte. Von der anderen Seite des Schreibtischs erreicht mich ein sehr kalter Blick.
»Das hat mich überhaupt nicht überrascht, und ich sage Ihnen, warum nicht. Eine der beiden Gründerinnen teilt das Bett mit einem reichen, berühmten Mann, und so was gefällt den Amerikanern«, knurrt er. »Okay, einen Nachmittag lang hat es mich geärgert. Aber was soll’s? Ich habe mich schon an vielen Nachmittagen in meinem Leben geärgert.« Er blickt seinen Kommunikationschef an, der aber seine neutrale PR-Maske aufbehält.
Ich erinnere mich, dass Anne Wojcicki von 23andMe, die mit Google-Gründer Sergey Brin »das Bett teilt«, einen sehr erfolgreichen Auftritt, erkennbar schwanger, in der populären Oprah Winfrey Show hatte. Stefánsson musste sich damit zufriedengeben, den Segen von Genprofilen etwas später in der nicht so angesehenen Show von Martha Stewart zu erklären, der ewig lächelnden Göttin des häuslichen Lebens, deren Gefängnisstrafe wegen Wertpapierbetrugs da noch nicht lange zurücklag.
»Sagen Sie mir: Wer ist der typische Kunde von deCODEme? Ein durchschnittlicher Zuschauer der Martha Stewart Show?«
»Wo zum Teufel haben Sie das her?«, fragt Stefánsson, anscheinend an Farmer gerichtet, aber ich glaube so etwas wie den Anflug eines Lächelns zu entdecken. Das Eis ist gebrochen, wir können endlich ernsthaft mit dem Gespräch beginnen.
Der große Mann wechselt seine Sitzposition, dreht sich zum ersten Mal ein bisschen in meine Richtung und erklärt, dass seine meisten Kunden Leute vom Fach sind.
»Allgemeinärzte, aber auch Kliniken, die sich auf Prävention spezialisiert haben und überall in den Vereinigten Staaten aus dem Boden schießen. Die Zahl der Privatleute steigt natürlich auch, aber langfristig ist das Gesundheitssystem der größte Markt. Nach meiner Ansicht ist der Direktverkauf an Kunden ein Weg, Einfluss auf das Gesundheitssystem zu nehmen. Wenn Sie überzeugt sind, dass die Prävention jemals eine Rolle spielen wird, dann brauchen Sie mehr Informationen über das individuelle Erkrankungsrisiko. Das ist der Schlüssel dazu, die Belastung durch die Krankheit zu beschränken.«
Die Frage ist, ob Genprofile die Zukunft sind. Im Januar 2008 warnte eine Gruppe amerikanischer Genetiker in einem Leitartikel des einflussreichen New England Journal of Medicine, Genprofile hätten keinen sonderlichen klinischen Wert. 2 Die großen Zivilisationskrankheiten – Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs – seien komplex. An ihrer Entstehung seien nicht nur viele Gene beteiligt, sondern ein Heer von Umweltfaktoren, über die man noch viel zu wenig wisse. Man könne gegenwärtig einfach nicht sagen, ob Genprofile ein realistisches Bild der Risiken eines bestimmten Individuums lieferten.
»Das ist vollkommener Unsinn!«
Jetzt hat sich Ärger in seine Stimme eingeschlichen, und Stefánsson beugt sich nach vorn.
»Ein Genprofil ist genauso nützlich wie jede andere Form von Screening. Was würden Sie tun, wenn herauskäme, dass Sie ein 50-prozentiges Risiko für Brustkrebs haben? Die Statistiken sagen, dass der Krebs zu 99 Prozent heilbar ist, wenn er früh entdeckt wird, aber praktisch unheilbar, wenn er erst entdeckt wird, nachdem er bereits gestreut hat. Ich denke, der Prozentsatz der Betroffenen, die geheilt werden, wäre viel höher, wenn man mehr auf Genprofile setzen würde.«
Bei seinem Beispiel bricht mir der kalte Schweiß aus, aber dann erinnere ich mich an meine günstigen Genvarianten und beruhige mich. Unterdessen setzt Kári Stefánsson seinen Monolog fort.
»Wir könnten auch über kardiovaskuläre Erkrankungen sprechen. Unser Test enthält einige Marker, die eine bessere Voraussage zum Herzinfarktrisiko erlauben als traditionelle Laborwerte wie etwa der Cholesterinspiegel. Für Menschen, die an Prävention glauben, sind Genprofile nützlich. Aber natürlich nur dann, wenn sie ausgehend von der Information auch handeln.«
Selbst beim Sprechen ist Stefánsson ruhelos auf eine Weise, die an ein hyperaktives Kind erinnert. Er spielt dauernd mit seinem Handy herum und verlangt
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