Mein wundervolles Genom
Hightech-Firma gründet und leitet und dann auch noch ein sensibler Künstler ist. Wieder höre ich die Worte meines Vaters über »gute Gene«.
Wie sorgt diese verpackte, inaktive genetische Information dafür, dass wir zu den Menschen werden, die wir sind? Nur ein paar Prozent von den drei Milliarden Basenpaaren unterscheiden einen beliebigen Menschen von einem ebenfalls zufällig ausgewählten Schimpansen. Und nur ein halbes Prozent unterscheidet einen Menschen von einem anderen Menschen. Wie, frage ich mich, können diese paar chemischen Veränderungen so unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen wie den freundlichen, lockigen Farmer, den scharfzüngigen, ganz in Schwarz gekleideten Stefánsson und mich?
»Nun«, sagt er und unterbricht meine Gedanken, »soviel ich weiß, haben Sie selbst eine Genomanalyse durchführen lassen. Haben Sie dazu Fragen an mich?«
Zurück im Büro, jetzt ohne Begleitung, teile ich ihm meine Testergebnisse mit und beklage mich als Erstes über mein erhöhtes Risiko für Arteriosklerose. Nach der ersten Durchsicht gestern habe ich gelesen, dass die getestete Variante auch mein Risiko für Lungenkrebs erhöht, und zwar um 33 Prozent, was für mich ziemlich gewaltig klingt, aber Kári Stefánsson ist nicht beeindruckt.
»Das bedeutet gar nichts, wenn Sie nicht rauchen. Selbst wenn Sie genetisch vorbelastet sind, geht Ihr Risiko gegen null, wenn Sie nicht rauchen.«
Ich verspreche, nicht zu rauchen, und sage weiter, dass mich auch mein erhöhtes Risiko für Basalzellkrebs, die häufigste Form von Hautkrebs, beschäftigt. Auch das findet er nicht beunruhigend.
»Bei mir hat man auch schon mal eine Stelle entfernt, es ist keine große Sache. Sie sollten nur die Sonne meiden.«
Das tue ich bereits und gestehe, dass ich etwas anderes nicht begreife. Mein ganzes Leben war ich dünn und knochig, und jetzt sagt mir deCODEme, ich hätte ein überdurchschnittliches Risiko, übergewichtigzu werden. Ich und dick? Ich frage Stefánsson, ob da ein Irrtum bei seinem Test vorliegen könnte.
»Nein«, erwidert er frostig. »Ich habe die gleiche Übergewicht-Variante wie Sie, aber ich wiege seit vielen Jahren immer gleich viel – vielleicht, weil ich so viel Sport treibe. Am liebsten drei Stunden täglich, sonst werde ich depressiv.«
Ich weiß nicht, ob es der Gedanke an den Fitnessraum ist, der den Blues vertreibt, aber auf einmal holt er eine Wasserflasche aus einem kleinen Kühlschrank und bietet mir sogar auch eine an.
»Varianten bei multifaktoriellen Krankheiten werden Ihnen nie eine präzise Voraussage liefern, weil sie komplex sind und nicht von einem einzigen Gen gesteuert werden. Was passiert, hängt ganz stark von der Umwelt ab. Sie haben einige Genvarianten, aber ihre Penetranz, das heißt, bis zu welchem Grad sie sich bei einem Individuum auswirken, bleibt ein Rätsel. Wir können nicht sagen, was sie bewirken, ob manche Varianten exprimiert werden und andere nicht.«
Ich starre ihn an. Will er jetzt sagen, dass Genprofile im Grunde nutzlos sind?
»Nein, natürlich nicht. Ein Genprofil kann Ihnen sagen, ob die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ergebnis – für Übergewicht zum Beispiel – bei Ihnen relativ größer oder geringer ist, aber es kann nicht sagen, ob Sie tatsächlich einmal dick werden.«
Um den Punkt mit den Umweltfaktoren zu erläutern, verweist Stefánsson auf eine Entdeckung aus den Forschungen von deCODE Genetics. Die Wissenschaftler haben Melanome untersucht und eine Variante in dem Gen für den Melanocortinrezeptor gefunden, die bei verschiedenen europäischen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedliche Auswirkungen hat. Bei Spaniern verdreifacht die Variante das Melanom-Risiko, bei Isländern hingegen hat sie keine Bedeutung – vermutlich weil dabei auch die Sonne eine Rolle spielt. In Island kann man Sonnenbestrahlung problemlos vermeiden, in Spanien ist das deutlich schwieriger. In Schweden, mit mehr Sonne als in Island, aber weniger als in Spanien, liegt das Risiko durch die fragliche Genvariante irgendwo in der Mitte.
»Wir haben auch drei Genvarianten entdeckt, die das Risiko für Vorhofflimmern erhöhen. Alle drei sind in China dreimal häufiger als in Europa, aber Chinesen leiden sehr viel seltener unter Vorhofflimmern. Das ist schwieriger zu erklären als die Sache mit den Melanomen und der Sonne. Und es zeigt uns, dass wir den Einfluss von Umweltfaktoren noch viel besser verstehen müssen, bevor wir Genprofile präzise nutzen
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