Mein wundervolles Genom
während interessanterweise der entsprechende Wert der Frau bei dieser Dimension für die Beziehung keine Rolle zu spielen scheint. Man muss allerdings die Frage stellen, ob dieses Ergebnis darin begründet liegt, dass viele Studien aus einer Zeit stammen, in der die Ehemänner noch die Rolle des Ernährers hatten.
Sicher ist der Wert für Gewissenhaftigkeit ein starker Indikator, wie es jemandem in der Schule ergehen wird – unabhängig vom Geschlecht. Vielleicht denken Sie, dass das Wichtigste in diesem Bereich die Intelligenz ist – aber, wie die Psychologin Maureen Conard von der University of Connecticut 2006 schrieb, »Befähigung allein reicht nicht aus«. Conard verglich die Persönlichkeitswerte und die Noten amerikanischer Studenten und stellte fest, dass der Wert bei Gewissenhaftigkeit ein besserer Prädikator für den künftigen Notendurchschnitt war als die Befähigungstests, die die Studenten zu Beginn des Studiums absolvieren mussten. 7
Gewissenhaftigkeit sagt auch etwas darüber aus, wie es nach den unbeschwerten Tagen des Studentenlebens weitergeht. Eine Metaanalyse der beiden amerikanischen Forscher Murray Barrick und Michael Mount aus dem Jahr 1991, die die Persönlichkeitstests von mehr als 23.000 Personen mit ganz unterschiedlichen Berufen und Positionen untersuchten, wies einen klaren, eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Wert bei Gewissenhaftigkeit und dem beruflichen Erfolg nach. Unabhängig davon, welche Kriterien man beim Erfolg zugrunde legte, die Gewissenhafteren waren stets besser als der Durchschnitt der weniger Gewissenhaften – unabhängig von sonstigen Qualifikationen. 8
Obwohl ein Großteil der Persönlichkeitsanalysen an Amerikanern durchgeführt wurde, sieht es so aus, als wäre das Fünf-Faktoren-Modell kulturell ziemlich robust. Die zugehörigen Konzepte und Fragebögen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, und die Ergebnisse bestätigen sich rund um den Globus. Sogar bei den Unterschieden zwischen den Geschlechtern ist weltweit das gleiche Muster zu erkennen: Überall haben Männer im Durchschnitt bei Extraversion und Gewissenhaftigkeit höhere Werte als Frauen, und Frauen haben höhere Werte bei Neurotizismus und Verträglichkeit. Die Werte der Frauen bei Verträglichkeit sind sogar so hoch, dass ein durchschnittlicher Mann schlechter als 70 Prozent der Frauen abschneidet.
»Antworten Sie schnell ohne langes Nachdenken«, lautete die Anweisung, als ich mich daranmachte, mich via Internet durch die vollständige Version des NEO-PI-R zu arbeiten. Ich folgte der Anweisung und ging eine Aussage nach der anderen durch in dem Bewusstsein, dass mein Test danach von dem Psychologen Henrik Skovdahl Hansen analysiert und ausgewertet würde, einem Experten für genau diese Art von Persönlichkeitstest.
Skovdahl Hansen ist Leiter des dänischen Verlagshauses Psychological Publishers. Er hat nicht nur eine Doktorarbeit über den Einsatz von Persönlichkeitstests geschrieben, sondern auch den NEO-PI-R übersetzt und Generationen von Psychologen beigebracht, wie sie ihn anwenden können. Ich habe nur kurz am Telefon mit ihm gesprochen, aber als ich ihm in seinem Büro gegenüberstehe, trifft er meine Erwartungen an einen Wirtschaftspsychologen ziemlich gut: keine wirren Haare und keine Vorliebe für bunte Schals. Er trägt einen dezenten dunkelblauen Anzug, raspelkurze Haare und eine Brille mit kleinen Gläsern und schmaler Metallfassung. Hingegen ist sein Händedruck zögernder, als ich gedacht hätte.
»Sie sind Lone?«, fragt er und schaut mich mit neutralem Ausdruck an. Eine Sekretärin kommt geräuschlos herbei und stellt Kaffeetassen und ein paar Süßigkeiten vor uns auf den Tisch. Ich nehme mir sofort ein Snickers, Hansen rührt weder Essen noch Trinken an. Stattdessenfaltet er die Hände vor sich auf dem Tisch und beginnt das Gespräch mit einem Bekenntnis zum Fünf-Faktoren-Modell und seiner »wissenschaftlichen Fundiertheit«.
Mit diesen fünf messbaren Merkmalen und ihren Facetten hätten die Wissenschaftler endlich ein Persönlichkeitsmodell entworfen, das so gut begründet sei, dass es über die reine Psychologie hinausreiche. Sie könnten damit die Verbindung zwischen Persönlichkeitsmerkmalen, biochemischen Prozessen im Gehirn und den zugrunde liegenden genetischen Faktoren untersuchen. »Natürlich ist die Biologie nicht gerade mein Gebiet, aber sie ist die Zukunft«, prophezeit Hansen.
Bevor wir uns meinem Test zuwenden, möchte er noch etwas loswerden: »Die
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