Mein wundervolles Genom
zumGoldstandard wurde. Der komplette Test NEO Personality Inventory-Revised (NEO-Persönlichkeitsinventar, Revidierte Fassung) oder abgekürzt NEO-PI-R, eingeführt 1992, besteht aus 240 Fragen – oder vielmehr Aussagen –, die je nach dem Grad der Zustimmung der Testperson auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet werden. Es sind einfache, psychologisch elegante Feststellungen wie etwa:
Ich habe großartige Ideen.
Ich interessiere mich nicht für abstrakte Ideen.
Ich bringe Schwung in jede Party.
Ich ziehe nicht gern Aufmerksamkeit auf mich.
Ich beleidige Menschen.
Ich bin leicht aus der Fassung zu bringen.
Ich bin immer gut vorbereitet.
Ich habe ein weiches Herz.
Ich bin launisch.
Ich habe vielleicht nicht das weichste Herz weit und breit (ich würde mir eine 3 geben) und bringe auch nicht unbedingt Schwung in die Party (obwohl ich nicht verstehe, warum meine großartigen Witze die Leute oft in die Flucht jagen). Beleidige ich andere? Nun, mehr als eine 4 muss ich mir dafür wohl nicht geben.
Das Fünf-Faktoren-Modell hat seine Kritiker. Manche stoßen sich daran, dass es so einfach ist: Sie sagen, nur fünf Dimensionen seien ein zu grobes Maß, um etwas von Bedeutung herauszufinden. Andere bezweifeln, dass die fünf Faktoren wirklich unabhängig sind; einige Forschungen deuten darauf hin, dass sie es nicht sind. Wenn sie nicht unabhängig sind, ließe sich das Modell eventuell auf vier Faktoren reduzieren oder sogar auf drei, und die Persönlichkeitspsychologen stünden mit einer ziemlich kleinen Palette »echter« Merkmale da, um die Vielschichtigkeit einer menschlichen Persönlichkeit zu erklären.
Aber derzeit gelten die fünf Faktoren. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass sie überraschend stabil sind, das heißt, wenn man die Latteder »Big Five« an einen Menschen anlegt, geht die Persönlichkeitskurve im Lauf der Zeit nicht rauf und runter wie der Aktienindex. Zum Beispiel beobachteten Costa und McCrae eine Gruppe von Menschen über sechs Jahre hinweg und wiederholten den NEO-PI-R-Test regelmäßig. Dabei stellten sie fest, dass der Skalenwert eines Menschen über die Zeit hinweg sehr wenig schwankte; die Unterschiede zwischen zwei Tests, die sechs Jahre auseinander lagen, waren nicht größer als die zwischen zwei Tests im Abstand von sechs Wochen. 5 Spätere Analysen und Metaanalysen bestätigten das – mit dem Zusatz, dass es so aussieht, als gebe es übergeordnete, langfristige Entwicklungen bei den fünf Persönlichkeitsfaktoren. Im Lauf des Lebens gehen die Werte für Neurotizismus, Extraversion und Offenheit zurück, und die Werte für Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit steigen. Diese Beobachtung passt gut zu der alten Redewendung, dass wir mit dem Alter milder werden, weil sich »die rauen Kanten abschleifen«.
Ein weiterer Hinweis, dass das Modell wirklich die Realität einfängt, ist die Tatsache, dass es sehr gut verschiedene Persönlichkeitsstörungen erfasst. Das unterstützt eine interessante Untersuchung der amerikanischen Forscher Lisa Saulsman und Andrew Page. Sie baten Personen, bei denen man eine der klinisch relevanten Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert hatte, bei einem »Big Five«-Test mitzumachen. Bei der Analyse der Ergebnisse stellten sie fest, dass sie allein anhand der Diagnose genau voraussagen konnten, wie der Patient bei dem Test abschneiden würde. 6
So weit, so gut. Aber die entscheidende Bewährungsprobe für ein theoretisches Modell ist, ob es konkretes Verhalten voraussagen kann und das Leben, wie es gelebt wird. Bemerkenswerterweise sieht es so aus, als könnten die »Big Five« tatsächlich etwas darüber aussagen, welchen Verlauf ein Leben nehmen wird.
Extraversion ist ein gutes Beispiel. Menschen, die in dieser Dimension hohe Werte erreichen, die also kontaktfreudig und gesellig sind und leichten Zugang zu positiven Gefühlen haben, finden offenbar mit größerer Wahrscheinlichkeit extravertierte Jobs. Häufiger als der Durchschnitt arbeiten sie als Verkäufer und haben Personalverantwortung. Extravertierte haben auch mehr Sexualpartner als der Durchschnitt, und im Lauf ihres Lebens bringen sie es auf mehr Ehepartner.
Anhand der Werte beider Partner kann man auch etwas darüber sagen, wie gut eine Ehe funktionieren wird. Statistisch steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Scheidung, wenn entweder der Mann oder die Frau einen hohen Neurotizismus-Wert hat. Ein Mann mit einem hohen Wert bei Gewissenhaftigkeit ist ein Hinweis auf eine lange Ehedauer,
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