Mein zauberhafter Ritter
verspürte leichte Übelkeit. Natürlich wäre es leichter, ihre Schwester einfach damit weitermachen zu lassen, aber es bestand die Gefahr, dass sie eine Überdosis schluckte. Andererseits war das mittelalterliche England wahrscheinlich nicht der beste Ort für eine Entziehungskur. Pippa blieb stehen und wünschte sich verzweifelt, sie hätte ihre Nase nicht in Sachen gesteckt, die sie nichts angingen. Dann würde sie sich jetzt nicht dafür verantwortlich fühlen.
Sie zuckte schmerzlich zusammen, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie sich das schon mehr als einmal in unterschiedlichen Situationen gewünscht hatte.
Sie betrachtete die kleinen Pillen in ihrer Hand. Wenn sie schon solche Wünsche hatte, dann konnte sie auch so weit gehen und sich wünschen, dass sie nicht nach England gekommen wäre, dass sie Tess’ Burg nicht betreten hätte und dass sie den Mann nicht kennengelernt hätte, der sie behandelte wie eine Schwester, auch wenn er dabei der Inbegriff von Ritterlichkeit war.
Das war zweifellos der schlimmste Teil des ganzen Abenteuers. Wie um alles in der Welt sollte sie jemals im 21. Jahrhundert einen solchen Mann finden? Sie war daran gewöhnt, sich mit Männern aus dem Theater zu verabreden, die sie einluden und dann eine Gegenleistung dafür erwarteten. Montgomery war genau das Gegenteil davon. Er hatte sie nicht nur bei sich aufgenommen und sie verpflegt, sondern hatte keine Mühen gescheut, damit sie sich wohlfühlte und in Sicherheit war ...
Jemand räusperte sich an der Türschwelle. Pippa drehte sich um und sah Montgomery vor sich. Sie fragte sich, wie lange er schon dort stand und wie viel er von ihrem inneren Kampf bemerkt haben mochte.
Er ließ sich nichts anmerken, als er das Schlafzimmer betrat, sondern setzte sich einfach auf das Bett und sah zu ihr hoch. Pippa musste ihre Augen schließen, nur für einen Moment, um sich wieder zu fangen. Sie war überzeugt davon, dass sie lediglich ein halbherziges Interesse an ihm verspürte, wie sie es für jede ihrer Bekanntschaften aus dem Theater genauso empfinden konnte. Ja, das war es. Nichts Besonderes. Nichts Wichtiges oder Weltbewegendes.
»Pippa.«
Sie musste ihn ansehen - es nicht zu tun, wäre unhöflich gewesen. Er wirkte ein wenig besorgt, aber so war er eben. Ein liebenswerter, galanter, höflicher Mann, der niemals einem Kind oder einem Welpen etwas zuleide tun könnte, auch wenn er auf dem Übungsplatz gnadenlos kämpfte.
Und auch wenn er sie mit aller Kraft vor seinen Cousins beschützte.
»Ihr solltet Euch setzen«, meinte er.
»Es geht mir gut«, brachte sie mühsam hervor.
Er rückte ein Stück zur Seite und klopfte auf die Stelle neben sich. »Setzt Euch, Frau, und sagt mir, was Euch bedrückt, bevor
ich mit dem Schwert nachhelfen muss, um Euch die Worte zu
entlocken.«
»Das würdet Ihr nicht tun.« Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Oder?«
»Das würde wohl nicht auf die Liste der ritterlichen Tugenden passen, die mein Vater mir beizubringen versucht hat«, erwiderte er. »Also wahrscheinlich nicht. Aber ich behalte mir das Recht vor, Euch mit endlosen Fragen zu zermürben, bis Ihr nachgebt und mir gestattet, Euch zu helfen, so gut ich kann.«
Sie musste rasch ein- oder zweimal blinzeln. Plötzlich wurde ihr klar, dass es ihr nicht gefiel, trotz ihrer Selbstständigkeit in vielen Dingen von anderen abhängig zu sein. Sie hatte immer gewusst, dass sie in Notzeiten stets einen Platz auf Peaches Couch finden und bei ihr bleiben können würde, solange sie wollte. Tante Edna, so verschroben sie auch sein mochte, hätte ihr jederzeit ihr altes Zimmer wiedergegeben, auch wenn der Preis dafür recht hoch gewesen wäre. Sie war mit ihrer Arbeit für verschiedene Theater so erfolgreich gewesen, weil sie, zumindest zu Beginn, hauptsächlich die Modelle anderer genäht hatte und lediglich für gerade Säume verantwortlich gewesen war. Selbst als sie begonnen hatte, eigene Kleidungsstücke zu entwerfen, hatte sie gewusst, dass sie alle zwei Wochen einen Gehaltsscheck bekommen würde. Ihr Weg in die Selbstständigkeit hatte lediglich Träume erfordert, die noch in die Tat umgesetzt werden mussten.
Das war alles recht einfach gewesen. Aber die Verantwortung für das Leben eines anderen Menschen zu übernehmen? Das war eine ganz andere Sache.
Sie nahm an, dass Montgomery die Verantwortung für das Leben anderer übernahm, ohne darüber nachzudenken. Er war verantwortlich für seinen Neffen Phillip, für seine Cousins,
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