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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
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leid, was da gerade passiert ist«, sagt Johann und spürt den Impuls, sich über den Tisch hinweg zu Viktor zu beugen und ihn zu umarmen. Natürlich tut er es nicht, aber den Impuls spürt er deutlich. »Machen Sie sich nichts draus. Bestimmt ist er nur neidisch. Und man weiß ja: Neid ist der Applaus der Kleinmütigen.« Viktor sieht ihn dankbar an. Dann macht er sich an seiner Tasche zu schaffen, einer Art Lederranzen,enLederra wie sie in Gymnasien ab der Oberstufe gern getragen werden. Eine Weile kramt er darin herum, zieht schließlich ein schmales Päckchen heraus, das in Geschenkpapier eingewickelt ist und mit einer sich lockenden Goldschleife verziert.
    »Ich habe Ihnen was mitgebracht.« Er hält Johann das Päckchen entgegen. »Oh, für mich?« Johann nimmt es entgegen und hält es einen Moment in Händen. Ein neues Gefühl steigt in ihm auf. Was für eine süße Geste, denkt er und wundert sich über das Wort »süß«, das er normalerweise jungen Tieren vorbehält, und zwar nur solchen, die auch im ausgewachsenen Zustand nicht stechen oder beißen. »Soll ich es gleich auspacken?« Viktor nickt. Erst jetzt wischt er sich die Träne aus dem Gesicht, anschließend ist auch das Reiskorn verschwunden. Vorsichtig, als wäre schon die Verpackung kostbar, streift Johann die Schleife ab und entfernt das Papier, das sich angenehm seidig anfasst. Darunter erscheint eine längliche schwarze Schatulle, auf die das Markenzeichen eines Füllfederhalterherstellers aufgedruckt ist, und zwar des teuersten, den es gibt. Johann sieht Viktor ehrlich überrascht an, dann öffnet er den Deckel. Auf königsblauem Samt gebettet liegt ein Füller, das Meisterstück des Herstellers, Johann kennt es aus den Anzeigen in den Literaturmagazinen, die er abonniert hat. Johann schätzt, dass er bestimmt 300 Euro gekostet hat, Minimum. Wieder sieht er zu Viktor. Der scheint seine Fassung wiedergewonnen zu haben, zumindest sieht er im Moment ganz fröhlich aus. Er bedeutet Johann mit einem Nicken, den Füller schon aus dem Etui zu nehmen, was dieser dann auch tut, vorsichtig, denn noch hat er nicht das Gefühl, das edle Stück gehöre ihm.
    Der Schaft fühlt sich kühl an. Johann umfasst ihn mit Daumen und Zeigefinger, der Füller liegt sagenhaft gut in der Hand, nicht zu leicht, nicht zu schwer, gerade so, als wäre er für ihn gemacht – da fällt sein Blick auf die Gravur, die sich in altmodisch verschnörkelter Schreibschrift um die gesamte Breite zieht. Johann Knipphals steht da, sein Name. Er nimmt den Füller in die andere Hand und fährt die Buchstaben ehrfurchtsvoll mit dem Zeigefinger nach. Auch ein Blinder würde sie lesen können, sie sind eingraviert.
    Die Umarmung fällt herzlich und kurz aus, wie es sich unter Männern gehört. »Danke«, sagt er.
    Nachdem sich beide wieder gesetzt haben, betrachtet Johann den Füller noch einmal von allen Seiten. »So, aber jetzt sagen Sie doch, meinen Sie, man kann aus meinem Manuskript noch etwas machen?«, unterbricht Viktor ihn dabei. Johann legt den Füller vorsichtig auf sein Samtkissen zurück, verknotet sogar den kleinen Draht wieder, mit dem er an der Unterlage befestigt war, und macht sich im Folgenden daran, Viktor zu erklären, wie aus dessen interessantem Manuskript ein außergewöhnlicher Roman werden könne. Hier und da müssten Kleinigkeiten verändert werden, der Anfang gestrafft, das Thema Zwangsernährung noch einmal nachrecherchiert (die Sache mit der Tschechoslowakei vergisst er im Eifer seiner Ausführungen), aber im Großen und Ganzen sei Viktor da ein erstaunliches Werk gelungen. Er nennt das Buch »ergreifend« und »wichtig« und sagt, »Gratislover in Bratislava« sei ein Roman, »aus dem viel Wahrhaftigkeit spricht«.
    Als die Kellnerin die leeren Espressotassen abräumt und die Rechnung bringt, hat Johann Viktor soeben das Du angeboten. Er wird sich später darüber ärgern, aber das weiß er in diesem Moment noch nicht. Allerbester Laune verlassen die beiden das Restaurant. Der Autor will sofort nach Hause gehen, er wohnt Bestlage Friedrichshain, und sich an die Arbeit machen, von der er nun glaubt, dass sie zu bewältigen ist. Johann, dessen Arbeitsstelle sich in entgegengesetzter R dangesetzichtung befindet, verabschiedet ihn mit einem kräftigen Händedruck und bleibt noch einen Moment vor der Restauranttür stehen, um sich unter der windschützenden Markise eine Zigarette anzuzünden. Er fühlt sich angenehm beschwingt, als hätte er einen Schwips. In der

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