Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
Vom Netzwerk:
gefällt Ihnen, ja?« Johann nickt. »›Gratislover in Bratislava‹, ja, das finde ich sehr …«
    »Ich dachte zum Beispiel ›Mein liebes Leben‹ wäre vielleicht besser? Passender? Wegen der Doppelbedeutung … liebes Leben, Liebesleben. Oder ›Außer Revue nichts passiert‹.«
    »Hm.«
    »Ich dachte, wegen Revue passieren«, sagt Viktor schnell.
    »Ja, das habe ich schon verstanden.«
    »Oder wie finden Sie …« Viktor überlegt kurz. »›Berg und Spital‹?« Er scheint selbst nicht überzeugt. »Ich finde ›Gratislover in Bratislava‹ einen wirklich guten Titel«, sagt Johann. »Er ist originell und einprägsam. Nein, an dem Titel würde ich nichts ändern.« Viktor hat seine Hände nun beide auf dem Tisch und knetet sie so fest, dass Johann seine Knöchel knacken hört. »Okay, Titel also gut«, fasst er zusammen und sieht sein Gegenüber misstrauisch an. »Und sonst?«
    Johann nimmt seine Gabel in die Hand und beginnt, mit ihr auf dem Teller Kreise zu ziehen. Er beginnt mit einem kleinen in der Mitte und lässt ihn nach außen hin immer größer werden, bis er sich in einer unsichtbaren Spirale über die gesamte Fläche ausgebreitet hat. Er macht es vorsichtig, um kein unangenehmes Geräusch zu erzeugen. Er weiß, dass er jetzt etwas Substanzielles sagen muss. »Also«, fängt er an. »Also, zunächst einmal danke ich Ihnen natürlich für Ihr Vertrauen, erneut mit mir zusammenzuarbeiten. Beim letzten Mal hatte ich ja gewissermaßen nichts zu tun, Sie kamen mit einem fertigen Manuskript, der Rest ist, wie sagt man so schön, Geschichte.« Viktor erwidert sein Lächeln nicht. »Das zweite Buch ist ja bekanntlich immer das schwerste«, fährt er fort, mit der Gabel nun zärtlich den Tellerrand entlangstreichend. »Beim zweiten Buch zeigt ein Autor, ob mehr in ihm steckt als nur eine Geschichte, die raus musste . Hier hört das Werk auf, therapeutisch zu sein und …« Er stockt und nutzt den Moment, um die Gabel an ihren Platz zurückzulegen. »Und die wahre Arbeit beginnt«, beendet er den Satz. Wenn er Glück hat, kommt gleich die Kellnerin und bringt Brot und Olivenöl. Er hat Hunger. Er hat so großen Hunger, dass es ihm schwerfällt, an etwas anderes zu denken als an Essen. Viktor sieht ihn an, den Mund einen Spalt geöffnet, als höre er daduheiöre errch besser. »Die wahre Arbeit beginnt«, sagt Johann noch einmal, diesmal in einem versöhnlicheren Ton. Ein kleines Lächeln hebt den Schnurrbart unmerklich an und ist sogleich wieder verflogen. Johann merkt, wie er dem Autor gegenüber weicher gestimmt wird, ein klitzekleines bisschen nur, aber immerhin. Doch dann fällt ihm das erste Kapitel ein, das damit beginnt, dass Lydia, die 90-jährige, schwer gelähmte Protagonistin in einem Krankenhaus in Luzern ihr Nachtessen verweigert (Viktor schreibt tatsächlich »Nachtessen«), was eine Schlauchlegung für künstliche Ernährung nach sich zieht, welche ihr im Folgekapitel mithilfe einer biegsamen Plastikkanüle durch den Rachen eingeflößt wird, womit Viktor sowohl sachliche als auch stilistische Probleme hat. »Insgesamt finde ich, ist es interessant, was Sie erzählen wollen …«, sagt er, und weil in diesem Moment tatsächlich die Kellnerin kommt und einen Korb mit geschnittenem Weißbrot auf den Tisch stellt, findet er, dass damit erst einmal genug gesagt ist.
    Das scheint Viktor jedoch anders zu sehen. »Erzählen wollen?« Er betont das hintere Wort. Johann nimmt sich ein Stück Brot. Es ist noch warm, offenbar frisch aufgebacken. Er hält Viktor den Korb hin. »Könnten Sie noch Olivenöl?«, ruft er der Kellnerin nach, die sich schon wieder umgedreht hat. Viktor möchte kein Brot. »Erzählen wollen? Also finden Sie mein Buch misslungen.« Als Johann nicht sofort antwortet, spricht Viktor weiter. Ob Johann also sein, Viktors, Buch insgesamt für nicht gelungen halte, wenn er sage »erzählen wollen «, weil wenn das so sei, solle er ihm das am besten gleich direkt sagen, dafür säßen sie ja hier, und er, Viktor, könne Kritik vertragen, das sei ja schließlich, genau wie Johann gesagt habe, ein Arbeitsprozess. Er spricht noch etwas in diesem Sinne weiter, während Johann versucht, ihn durch zunächst nur angedeutetes, wenig später ausholend gestikulierendes Abwinken zu unterbrechen. Doch Viktor hört erst auf zu reden, als plötzlich eine junge Frau neben ihrem Tisch steht. Sie hält einen Stift in der Hand und eine Papierserviette in der anderen und sieht Viktor freundlich an. Ob er

Weitere Kostenlose Bücher