Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
Vom Netzwerk:
sie Zeit. Lucy saß neben ihr in einem Kindersitz, den der Fahrer umstandslos aus dem Kofferraum geholt und montiert hatte und hielt ihr Bilderbuch in der Hand. Verkehrt herum, was Anna nun korrigierte. Sie machte sich daran, die Kette zu entknoten, was nicht gelang, und als ihr Blick dabei auf ihre Nägel fiel, erschrak sie, als wäre etwas viel Schlimmeres passiert. Ihr fiel ein, dass sie gar nicht wusste, ob Fotos gemacht werden würden. Sie sah auf die Uhr. In einer halben Stunde würde der erste Journalist ihr Fragen nach einem Film stellen, den sie zu verdrängen versucht hatte, so gut es ging. Die Dreharbeiten lagen eineinhalb Jahre zurück, es war der Debütfilm des Regisseurs gewesen, der nie ein nettes Wort gesagt hatte, was sie sich damit zu erklären versucht hatte, dass er wohl einfach unsicher war. Der Kollege, der die männliche Hauptrolle spielte, hatte sich vor ihrer gemeinsamen Liebesszene nicht die Zähne geputzt. (Erst jetzt kam ihr der Gedanke, dass er vermutlich am heutigen Interviewtag auch da sein würde.) Die Maskenbildnerin, die sehr jung war, Anfang zwanzig, hatte sie gleich am ersten Tag mit der Frage beleidigt, ob sie schon mal erwogen habe, sich Botox spritzen zu lassen – »das ist das Einzige, was gegen so ne Zornesfalte hilft«. Das Catering hatte fast ausschließlich aus Bratwürsten und Frikadellen bestanden, obwohl sie vorher über ihr Management hatte ausrichten lassen, dass sie Veganerin war. Und schließlich war ihr der ganze Film, der im Drehbuch geklungen hatte wie ein nicht sonderlich origineller, aber einigermaßen akzeptabler Thriller aus der Nazizeit, im Laufe der Dreharbeiten immer fragwürdiger vorgekommen.
    Warum wurde der Schauspieler, der Hitler spielte, meist in grünem Gegenlicht gefilmt? Warum zeigte Eva Braun so viel Dekolleté? Und musste Göring unbedingt von einem bekannten Fernseh-Comedian gespielt werden? Von ihrer eigenen Rolle, der deutschen Jüdin Ruth Morgenstern, die sich für ei C sikanne BDM-Gruppenleiterin ausgab, war nach dem Schnitt nichts Interessantes übrig geblieben, alle inneren Konflikte waren herausgenommen worden. Das Testpublikum habe bei den Previews beanstandet, dass sie keine reine Sympathieträgerin sei, hatte man ihr erklärt. Ihre Lieblings-Szene (deretwegen sie den Film überhaupt angenommen hatte), in der sie die männliche Hauptrolle, den SS-Hauptmann Hans, dazu überredete, einen jüdischen Jungen laufen zu lassen, um diesen anschließend ins sichere Verderben zu schicken, als sie ihm kein Obdach für die Nacht gewährte, war gar nicht mehr im Film. Dafür war die Liebesszene zwischen ihr und Hans zweieinhalb volle Minuten lang und mit dieser grauenhaften Klimperklaviermusik unterlegt, die außerhalb deutscher Filme nicht existierte, und warum auch. Anna hatte den fertigen Film nur einmal gesehen. Das war einen Tag vor der Premiere gewesen, die sie daraufhin abgesagt hatte (Magen-Darm), zehn Tage war das jetzt her. Leider war sie vertraglich zur Pressearbeit verpflichtet, da hatte ihr Management sie nicht mehr herausgekriegt. Und so sah sie nun mit Schrecken einem ganztägigen Interview-Marathon entgegen, zu dem eben erschwerend hinzu kam, dass sie ihre Tochter dabeihatte. Und zu allem Überfluss hatte sie auch noch deren Schnuller vergessen, wie ihr auf einmal siedend heiß einfiel. Sie wunderte sich, dass es Lucy noch nicht aufgefallen zu sein schien.
    Mit nur einer Viertelstunde Verspätung fuhr der Wagen vor dem Adlon vor. An den erleichterten Gesichtern der beiden Frauen, die sie vor dem Eingang in Empfang nahmen, war abzulesen, dass man sich bereits Sorgen gemacht hatte, die Überraschung, sie mit Kind aus dem Wagen klettern zu sehen, schien groß. »Oh«, sagte die eine, kurz, stämmig und blond, die sich als Nina vorstellte, »heute mit Anhang?« »Tut mir leid«, sagte Anna, »wir haben heute leider einen Betreuungsnotstand.« Ihr entging der Blick nicht, den die beiden wechselten, bevor die andere, Nicole, groß, schlank, dunkle Hautfarbe, die Haare zu einem Siebziger-Jahre-Afro frisiert, versicherte, das sei doch überhaupt kein Problem, sie werde sich während der Interviews um sie kümmern. »Mein Bruder hat gerade ein Kind bekommen«, erklärte sie, als sage das irgendetwas aus.
    Die beiden begleiteten Anna, die Lucy auf dem Arm hatte, die breite Treppe hinauf in den ersten Stock, wo eine Suite angemietet worden war. Vor der Tür stand ein Pappaufsteller des Filmplakats, Anna war nicht sonderlich überrascht, es

Weitere Kostenlose Bücher