Meine allererste Scheidung
Geburt. Ein Sturm von Bildern und Gefühlen.
Zuerst ging sie in die Küche, nahm ihre schärfste Schere und durchtrennte unbarmherzig die Lederschichten, die ihr die Brust einschnürten. Sie kämpfte sich aus dem Rock, riss die Strumpfhose herunter und schleuderte die Schuhe von den Füßen. Endlich frei, fiel sie in Zeitlupe aufs Bett. Sie begann heftig zu weinen, bis es wehtat, in rauen, trockenen Schluchzern, und dachte, dass sich dies nicht in eine der Erinnerungen verwandeln sollte, die vor ihren Augen aufblitzten, wenn sie starb. Aber irgendwie wusste sie bereits, dass es zusammen mit dem Bild von ihrem Mann, der in dieser Nacht leise die Haustür hinter sich schloss, definitiv einer jener unvergesslichen Augenblicke war.
5
Caitlin wachte am nächsten Morgen erst um halb zehn auf. Das mochte nicht besonders spät klingen für Menschen, die jeden Tag bis elf Uhr im Bett lagen. Aber für Caitlin war es beispiellos, abgesehen von den wenigen Malen, da sie sich nach einer Premiere einen Kater gegönnt hatte. Und an diesen Tagen war Max aufgestanden, hatte mit trüben Augen die Kinder fertig gemacht und sie langsam und vorsichtig zur Schule gefahren. Selbst wenn sie die Nacht durchgemacht hatte, kämpfte sie sich aus den Federn und ging zur Arbeit. (Was im Übrigen keine gute Sache ist.) Also brachte der absolute Mangel an elterlichen Aktivitäten zu einer Zeit, da sie eigentlich in der Schule sein sollten, bei Sean und Molly sämtliche Alarmglocken zum Läuten. Und zwar laut.
Um neun Uhr zweiunddreißig standen beide Kinder vorm Bett ihrer Eltern und fragten sich, warum das Handy ihrer Mutter ausgeschaltet war. Und wo ihr Vater war. Und warum ihre Mutter komatös wirkte.
Sean ging zur Stereoanlage hinüber. »Das ist ja komisch«, sagte sie zu Molly. »Sie hat meine Kelly-Clarkson-CD genommen.«
»Das ist Heulmusik«, erwiderte Molly stirnrunzelnd. (Bemerkenswert scharfsinnig, Molly.)
Sie hätten Caitlins Gesicht angestarrt, nur dass es unter einem verhedderten Dickicht roter Haare verborgen war. Also setzten sie sich beide auf die Bettkante und blickten auf die Haarpracht ihrer Mutter.
»Meinst du, sie ist tot?«, fragte Molly neugierig.
»Ich glaub nicht«, antwortete Sean beiläufig.
»Sie sieht tot aus«, flüsterte Molly aufgeregt. Sie war in der Phase, in der Totsein eine faszinierende Vorstellung war. Sie fragte sich mitunter wochenlang, ob Dinge tot waren – Fliegen, Früchte (Früchte sterben nicht, Liebling, hatte Cait erklärt), Eidechsen und jetzt ihre Mutter.
»Sie ist nicht tot«, hörte Caitlin Sean mit normaler Stimme erklären. »Schau mal, du kannst sie atmen sehen.«
»Wo ist Dad?«, fragte Molly, die nervös klang.
Caitlin stöhnte. Bewusstsein war kein Ort, an dem sie sich im Augenblick befinden wollte.
»Oh, sie hat ein Geräusch gemacht«, hauchte Molly erleichtert, und ein schwacher Hauch des Begreifens erreichte Cait. Eine kleine Hand auf ihrer Brust entlockte ihr ein Lächeln, und irgendwie öffnete sie, obwohl sie sich wie unter Drogen fühlte, zaghaft ihre geschwollenen Augen. (Nachdem Max gegangen war, hatte sie sich in den Schlaf geschluchzt, weil ihr das als das einzig Vernünftige erschienen war.) Mollys süßes, rundes Gesicht wurde langsam deutlich, blass und pummelig, mit sanften, braunen Augen und vom Kopf abstehendem Haar. Mit weichen, dicken, kleinen Händen tätschelte sie das Gesicht ihrer Mutter.
»Mum. Mum – dürfen wir rein?«, fragte sie lächelnd.
Caitlin konnte nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern, obwohl die Veränderung ihres Gesichtes kaum wahrnehmbar war. »Ihr dürft.«
»Oooooh, komm, Sean«, drängte Molly, kroch unter die Decke und betrachtete das vom Schlaf fleckige Gesicht ihrer Mutter.
»Du hast Müll in den Augen«, bemerkte sie ernsthaft. »Und du riechst ekelig.«
»Bindehautentzündung, Süße. Wahrscheinlich«, stimmte Caitlin ihr zu und fragte sich, wie sie wohl aussehen mochte.
»Oooh. Vielleicht kriege ich es auch. Keine Schule!« Molly begann am Daumen zu lutschen und kuschelte sich näher an Caitlins Kopf. »Vielleicht hast du ja auch Läuse! Dann können wir zu Hause bleiben und …«
»Wie spät ist es?«, fragte Caitlin schwach und von einem plötzlichen Gefühl der Panik erfüllt. »Kann eine von euch mal für mich nachsehen?«
»Sie ist genau da, Mum.« Sean zeigte verwirrt auf die Uhr. »Sie hat sich nicht bewegt.«
»Hast du dir den Hals wehgetan?«, fragte Molly ihre Mutter ratlos.
»Nein. Kannst du für
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