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Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Mander
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der Entdeckung Amerikas, kann man unmöglich vergessen, war ich mit meinen Freunden zusammen, und da hat Arschgesicht gesagt:
    Â»Waisenjunge-Waisenjunge-Waisenjunge«, und ich habe gedacht: Jetzt schlag ich’s dir ein, dein blödes Arschgesicht!
    Â»Du 1- A -Arschgesicht.«
    Und bevor ich denken konnte, nein, vielleicht lieber doch nicht, habe ich ihm mit der Faust einen Schlag auf die Nase verpasst, genau in die Mitte von seiner dämlichen Ritze. Ich weiß nicht, wie, aber der Arm ist schneller als das Denken gewesen, ein gut platzierter rechter Haken, bevor ich mir selbst darüber klar werden konnte, als hätte die Versammlung der Glieder des menschlichen Körpers beschlossen, sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen, so in der Art Menenius Agrippa nach dem Mittagessen.
    Die Hefte fliegen zu Boden, öffnen sich und verlieren ihre Seiten wie die Bäume im Herbst ihre Blätter, und dem Scheißkerl eröffnet sich plötzlich eine ganz andere Seite von mir, und er reißt die Augen auf wie einer, der seinen Augen, seinen Ohren und seiner Rotznase nicht traut.
    Â»Das wirst du mir büßen.«
    Â»Okay, okay.«
    Eine Rosskastanie, gerade aus der stacheligen Schale befreit, rollt in den Abfluss des Regenwassers.
    Â»Das soll dir eine Lektion sein, Arschgesicht.«
    Ich habe in mich rein geknurrt, die anderen sprachlos und bewundernd, ich plötzlich zehn Zentimeter größer.
    Die Sache ist, dass ich jetzt nicht mehr reagieren kann, ich darf nicht auffallen. Ich gehe schneller. Arschgesicht tut so, als würde er mich nicht sehen, dabei gehe ich so nah an ihm vorbei, dass ich jeden einzelnen von seinen Pistazienpopeln in den Leberflecken zählen kann. Ich gehe noch schneller, und schon bin ich weg von seinem ekligen Wurstgesicht. So gut wie zu Hause.
    Mama ist noch immer in den Kissen vergraben und schläft.
    Wie sie so in dem großen Bett liegt, wirkt sie kleiner. Immer der gleiche Ausdruck, nur dunkler im Gesicht. Wenn ich sie anfasse, scheint sie kälter. Aber draußen ist es auch so. Ich lege den Mantel über sie, aus den Taschen fallen zwei Euro. Schwierig, aus diesen Decken aufzuerstehen.
    Wenn Menschen glücklich sind, sterben sie nicht so, durch Zufall.
    Höchstens sterben sie durch einen Unfall, aber nicht durch Schlaf.
    Vielleicht ist Mama an Herzschmerz gestorben. Vielleicht haben weder ich noch die anderen sie genug geliebt. Vielleicht habe ich es nicht geschafft, sie in meinem Leben zu halten, sie wenigstens für mich leben zu lassen. Vielleicht bin ich nicht so viel wert, weder für sie noch für sonst einen. Mit diesem neuen Gedanken im Kopf ziehe ich mir die Schuhe aus. Ich werfe sie irgendwohin. Blu erschrickt, sträubt den Schwanz, und der sieht aus wie das Ding, mit dem man die Spinnweben wegmacht, ein Schuh landet unter der Couch. Ich habe den Titicacasee in den Strümpfen. Ich muss an meine Pflichten denken.
    Was sind meine Pflichten?
    Mein Zimmer in Ordnung halten, kontrollieren, ob es dem Kater gut geht, seinen Sand wechseln, lernen, nicht alle zwei Minuten Schweinsdreck zu sagen, sicherstellen, dass das Gas abgedreht ist, wenn ich den Herd benutzt habe. Darauf achten, dass ich keine Essensreste zwischen den Zähnen habe.
    Nicht nerven, wenn es gerade nicht passt.
    Verstehen, dass die Großen große Probleme haben.
    Die Großen haben keine Vorstellung davon, was Kinder sich alles ausdenken müssen, um sein zu können, was sie sind. Mal sagen sie dir, du sollst aufhören, dich wie ein Kind zu benehmen, dann sagen sie dir wieder, dass es nicht wichtig ist, weil du ja nur ein Kind bist, aber was für ein lieber Junge. Du bist ja schon ein richtiger kleiner Mann. Ich denke an die Bügel, an denen die Kleider in dem Schrank mit dem Geruch nach Mottenkugeln hängen, die sehen irgendwie aus wie kleine Männer. Wenn ich mich da zu oft verkrieche, riskiere ich, auch bald so ein Hänger zu werden, mit knochigen Schultern und einem Fragezeichen als Kopf. Wer weiß.
    Jedenfalls wissen die Großen auch nicht, was sie sagen.
    Â»Stiehl mir nicht die Zeit.«
    Wie soll das denn gehen? Oder:
    Â»Leichenbegräbnis.«
    Wer soll denn sonst begraben werden?
    Ich gehe in mein Zimmer, um die Schlappen zu suchen, die mit den Elchgeweihen, die Mama mir zu Weihnachten geschenkt hat. Blu hat eins davon angeknabbert, sodass jetzt aus einem Horn so eine Art gelbliche Watte raushängt, wie die, die sie dir bei

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