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Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Mander
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Nasenbluten in die Nase stecken. Als mir der Ball ins Gesicht geflogen ist und sie mich in die Notaufnahme gebracht haben, dachte Mama schon an eine Gehirnerschütterung, und sie war erschütterter als ich. Aber dann haben sie ihr gesagt, dass nichts passiert ist.
    Ich schlappe rüber, mit Blu, der versucht, den Rest vom Geweih gepackt zu kriegen. Im Fernsehen ist immer noch der Koch mit den Etepetete-Damen, die sprechen, als hätten sie einen goldenen Löffel im Mund, ich mache gleich wieder aus. In der Küche sind der Tisch und der Boden voll mit dem Trockenfutter, ich habe vergessen, die Schachtel wegzustellen, und Blu hat es überall verstreut. Im Waschbecken stehen schmutzige Teller. Auf der Fensterbank haben wir eine Fettpflanze, die uns irgendjemand geschenkt hat, sie sieht aus wie zwei Gurken mit Stacheln, eine größer und eine kleiner, sie überlebt auch ohne Wasser, wie wir, auch wir sind Fettpflanzen, im Haus eingesperrt. Wenn du sie anfasst, sticht sie, sie verteidigt sich.
    Die Wohnung ist genau wie sie – eklig.
    Es ist nicht so, wie wenn du einen Tag lang allein bist und machst, was du willst, auch das, was du nicht darfst. Es ist so, dass ich jetzt alles machen kann und keine Lust habe, irgendwas zu machen. Ich bin so frei, dass sich mir der Kopf dreht, wenn ich nur daran denke, frei und gefangen gleichzeitig, wie die Hamster, die im Rad laufen und immer stillstehen. Sie drehen sich und drehen sich und kommen nirgendwohin.
    Wenn ich stillstehe, habe ich wieder das weiße Heft im Kopf, ich schaffe es nicht, mir etwas vorzustellen, das ist ganz furchtbar, denn mit Phantasieren habe ich mich immer durchgeschlagen. Die Lehrer sagen, ich habe sehr viel Phantasie.
    Â»Die Phantasie ist eine große Kraft in Zeiten wie diesen. Vielleicht macht ihr euch das nicht klar, weil ihr bestimmte Nachrichten nicht lest, doch die Wirklichkeit übertrifft manchmal die Phantasie, und dann muss man noch phantasiereicher sein, um im Leben durchzukommen.«
    Trotzdem weiß ich jetzt nicht, was ich mir vorstellen soll.
    Ich stelle mir vor, dass die ganze Geschichte jemand anderem passiert, weil es ist auch ein bisschen so, ich bin drinnen bei dem, was geschieht, aber auch draußen, ich möchte verschwinden, aber auch nicht. Ich habe keine Lust mehr, mich im Schrank zu verkriechen, denn jetzt ist alles ein geschlossener Schrank, aber auch ein offener. Es nützt nichts mehr, sich hier in der Wohnung zu verstecken, ich kann herumheulen und mir die Nase mit dem Tischtuch, den Servietten, dem Schlafanzug oder den Gardinen im Wohnzimmer putzen. Alles ist alt und riecht nach altem Schrank. Weit aufgerissen und dicht verschlossen zugleich. Ich kann alles tun und will nicht, ich will nur, dass es wieder so ist wie vorher. Ich versinke mit der Nase tief im letzten Fetzen einer Rolle Küchenpapier. Ich mache mir ein Brötchen mit Nutella. Die Milchflasche ist leer. Ich trinke Wasser aus dem Hahn, es schmeckt nach Chlor.
    Im Winter sind die Tage kurz, doch mir scheint heute alles endlos, ein ewig langes und unbegreifliches Endlos.
    Ich begreife nicht mal, ob ich aufhören soll zu hoffen oder nicht.
    Â»Die Hoffnung stirbt zuletzt.«
    Und davor, was stirbt da?
    Mama wirkt immer toter.
    Ich müsste die Geschichte der Hominiden lernen. Die Geschichte von diesen gebückten und behaarten Wesen, die auf den Darstellungen in Schulbüchern im Gänsemarsch gehen, bis einer von ihnen sich aufrichtet und wie ein Soldat losmarschiert, nach vorn.
    Mit einem Hominiden hätte Mama sich vielleicht weniger allein gefühlt.
    Â»Darf man erfahren, warum du nicht beschließt, dir mal einen anständigen Mann zu suchen? Ich sage das auch wegen deinem Sohn, allein schaffst du das nie.«
    Â»Ich habe es satt, verliebt zu sein, ich habe es satt, mich zu entlieben, ich habe es satt zu vögeln, ich kann mich nicht mal mehr dran erinnern, wie das geht, Liebe zu machen.«
    Â»Liebe, Liebe! Das kommt dir jetzt nur so vor, aber so ist es nicht. Seit ich fünfzehn bin, entliebe ich mich regelmäßig. Jedes Mal sage ich mir, nie wieder, der Schlag soll mich treffen, wenn ich noch mal darauf reinfalle. Und dann treffe ich wieder einen, neues Spiel, neues Glück. Wenn du einen findest, der was drauf hat, änderst du deine Meinung, du wirst schon sehen.«
    Â»Nein, bei mir ist das anders. Um mich zu verlieben, muss ich Lust dazu haben, aber ich habe nur noch Lust zu

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